Meine Kindheit und die Suche [Ausschnitt]

aus: Susanne Straumann, Sosiya die Kämpferin BACK TO THE ROOTS

Meine Kindheit

«Suuusaaanne Negerli wieso bist du so braun?», schreien die Kinder hinter mir her und rennen mir nach. Fast jeden Tag renne ich weinend vom Kindergarten nach Hause zu meiner Mutter und frage sie immer das gleiche. «Mami, wieso habe ich eine braune Hautfarbe, wieso kann ich nicht eine Haut haben die so weiss ist, wie die der anderen Kinder auch?» Meiner Mutter zerbricht es fast das Herz, wenn sie mich so aufgelöst sieht, aber sie versucht mich immer wieder aufzumuntern und beruhigt mich: «Sei nicht traurig, die sind alle nur neidisch, weil sie auch gerne so schön braun wären, wie du!» Aber das macht mich nur noch wütender. «Neidisch?», schreie ich entsetzt, «bestimmt nicht, die sind froh, dass sie nicht so aussehen wie ich!», weine ich weiter. Das sich die Worte meiner Mutter in späteren Jahren bewahrheiten, ist für mich zu diesem Zeitpunkt undenkbar. Immer wieder male ich mir aus, was ich machen könnte, um weisse Haut zu bekommen damit ich nicht mehr so gehänselt werde von den Kindern. Ich fühle mich sehr einsam und ausgestossen, Kinder können so grausam sein. Meine Kindergarten-Lehrerin finde ich eine böse Frau, ich hasse sie! Sie ist nie wirklich auf meiner Seite, sie setzt sich nicht ein für mich und lässt die Kinder einfach weiter hänseln. Ich fühle mich sehr verloren. Obwohl ich mich von meinen Spielkameraden ungeliebt fühle, liebt mich meine Mutter sehr. Sie und mein Vater haben mich als kleines Baby adoptiert, wir haben in Reinach Baselland ein schönes Zuhause.

Die Krankheit

Was dann kommt, ist eine schlimme Erfahrung in meinem Leben, meine Mutter erkrankt schwer. Eines morgens liegt Mami auf dem Sofa und krümmt sich vor Schmerzen. Sie schreit und ist hilflos bis der Arzt bei uns ist. Wir bekommen sehr lange keine richtige Diagnose, erst als es schon viel zu spät ist. Ein langer Leidensweg beginnt. Es ist der blanke Horror für die ganze Familie, sie hat Krebs, aber wie und wo die Krankheit wirklich angefangen hat, konnte man uns nie richtig sagen. Ich habe eine todkranke Mutter Zuhause. Zu diesem Zeitpunkt weiss ich nicht wie krank sie wirklich ist. Sie sagte einmal zu mir: «Ich weiss nicht wie lange ich noch zu leben habe, die Ärzte geben mir noch ein paar Monate.» Ich kann mit diesen Worten nicht sehr viel anfangen und weine. Ich bin sehr wütend auf sie, dass sie mich so direkt damit konfrontiert. Ich finde es einfach nur unfair! Ich brauche doch meine Mutter! Zu meinem Vater habe ich so gut wie kein Verhältnis, er ist mir fremd, er ist nie da und muss immer arbeiten. Wenn er Zuhause ist, muss ich still in meinem Zimmer sitzen damit er sich nicht gestört fühlt.

Die Beerdigung

Die Beisetzung findet auf dem Friedhof der Fiechten Kapelle in Reinach statt. Während der ganzen Abdankung fühle ich mich wie in Trance. Ich weiss gar nicht was da wirklich passiert. Ich denke nur die ganze Zeit, gebt mir meine Mutter zurück! Nach der Abdankung sehe ich, wie sich die Leute anstellen, um in einen Raum zu gehen. Ich stelle mich dazu und weiss gar nicht wo die alle hingehen. Ich wundere mich nur, alle die wieder herauskommen, weinen und sind unendlich traurig. Plötzlich hält mich jemand ganz sanft am Arm fest und flüstert mir zu: «Susanne». Es ist meine Grosstante Martha: «Du musst nicht in diesen Raum gehen, wenn du nicht willst.» Ich schaue sie mit grossen Augen an und frage: «Warum, was sieht man dort und wieso schauen mich die Leute so mitleidig an?» Tanti erwidert: «In diesem Raum ist deine Mutter aufgebahrt in einem Sarg, sie schläft ganz friedlich, es dürfen alle Abschied nehmen von ihr.» Ich traue meinen Ohren nicht. Meine Mutter ist in einem Sarg da drin? Ich darf meine Mutter noch einmal sehen? Mir wird ganz anders, und ich stehe sehr verloren da. «Ich möchte dir aber noch etwas sagen», meint Tanti weiter, «du darfst selbstverständlich zu Mami gehen, sie anschauen und von ihr Abschied nehmen. Das ist allein deine Entscheidung, aber ich rate dir, geh nicht. Behalte Mami so in Erinnerung wie du sie gekannt hast, es sind schöne Bilder die kann dir niemand mehr nehmen in deinem Gedächtnis. Gehst du aber zu ihr, wird das dein letztes Bild sein von ihr und für immer in deinem Kopf bleiben. Und glaube mir, Mami sah viel schöner zu Lebzeiten aus, als du sie hinter dieser Tür antreffen wirst.» Einen Moment lang bin ich hin und her gerissen und weiss nicht was ich machen soll. Alles geht mir durch den Kopf, ja ganze Filme laufen darin ab, ich habe Mami doch schon so lange nicht mehr gesehen. Aber ist es gut, wenn ich sie jetzt so, sehe? Was erwartet mich hinter dieser Tür? Ich möchte kein schlechtes Bild von ihr durch den Rest meines Lebens tragen. Und so entscheide ich mich schweren Herzens, nicht zu ihr zu gehen. Ruhe in Frieden mein liebes Mami, ich brauche dich doch so sehr. Meine Tränen verschleiern mir die Sicht. Ich werde es nicht schaffen ohne meine Mutter. Nach der Abdankung begeben wir uns alle nach draussen zum Grab. Erst jetzt wird mir bewusst wie viele Trauergäste, Verwandte und Bekannte, zur Beerdigung meiner Mutter erschienen sind. Wir stehen alle rund um das Grab. Als ich den Sarg darin liegen sehe, ganz weit unten liegt meine Mami, bin ich geschockt! Jeder einzelne wirft eine Rose ins Grab hinunter und gibt ihr den letzten Segen. Jetzt bin ich an der Reihe. Ich nehme die Rose in die Hand, mache einen Schritt nach vorne. Mit gesenktem Kopf starre ich hinunter und weine los, während die Rose aus meiner Hand fällt. Tschüss meine allerliebste Mami, ich werde dich nie vergessen, du hast mich bei dir aufgenommen hast mich adoptiert und für mich gesorgt. Du warst immer für mich da, jetzt verlässt du mich einfach, was soll ich nur machen ohne dich? Du wirst mir immer fehlen. IMMER!!

Wer ist meine Mutter?

Papi und ich essen wieder einmal zusammen sein köstliches Mittagessen und reden miteinander. Ich kann es mir nicht erklären, warum ich gerade diesen Zeitpunkt wähle. Ich habe es mir überhaupt nicht zurechtgelegt, oder vorgenommen. Doch es kommt über mich und ich frage Papi aus heiterem Himmel:  «Weisst du eigentlich wer meine leibliche Mutter ist?» Mein Vater schaut mich mit grossen Augen an, und erwidert nichts. Stille im Raum. Kurz darauf steht er auf und verschwindet in seinem Schlafzimmer. Als er wieder heraus kommt hat er ein DIN-A4-Blatt in der Hand, er legt es genau vor mir auf den Tisch. Auf diesem steht: HEIMATSCHEIN: Susanne Boetsch geboren am 11.7 1971, Tochter der Brigitta Elisabeth Boetsch geboren am 7.7 1940. Ich lese dieses Dokument zwei-, dreimal durch und sage schliesslich: «Das ist ja die Mutter von Irene, die heisst doch Boetsch mit Nachnamen?! Ich schaue ihn irritiert an. «Und? Was soll ich jetzt mit dem anfangen?» Ich habe ein Lächeln auf meinem Gesicht, weil ich überzeugt davon bin, dass er mich falsch verstanden hat. Mein Vater schaut mich ernst an, er ist kein Mensch, der einer anderen Person lange in die Augen sehen kann, aber dieses Mal ist alles anders. Er schaut mich an und sagt leise und zurückhaltend: «Ich weiss, dass ist die Mutter von Irene, aber sie ist auch DEINE Mutter.» Peng, das hat gesessen!!! Ich hole tief Luft und sage heftig: «Wie bitte? Irene’s Mutter ist auch meine Mutter?» Er nickt, sein Blick ist nun nach unten gerichtet, und ich habe das Gefühl ich höre den Stein von seinem Herzen fallen. «Aber das bedeutet ja, sie ist meine Halbschwester? Nein, das kann nicht sein.» Jetzt holt Papi tief Luft und spricht weiter: «Brigitta hat dich geboren und dich zur Adoption frei gegeben». Ich kann immer noch nicht glauben, was ich da zu hören bekomme. Ich glaube mich in einem Traum zu befinden, ja, ich bin in einem Alptraum. Mir fällt es wie Schuppen von den Augen und ich stammle weiter: «Aber sie war ja bei meiner Hochzeit dabei??? Sie hat mir gratuliert vor der Kirche.» Ich bin völlig ausser mir und will die Zeit am liebsten fünf Minuten zurückdrehen, denn da wusste ich noch von nichts. Ich kann nicht glauben was mir mein Vater da offenbart, aber ich merke, dass es ihm noch nie so ernst war. Alles rast durch meinen Kopf! Ich habe einer Frau die Hände geschüttelt an meiner eigenen Hochzeit und wusste nicht einmal, dass diese Frau meine leibliche Mutter ist? Wie krank ist das denn?

Die Suche geht weiter

Herr Abt ruft mir schon nach ein paar Tagen bereits zurück, er berichtet mir, dass er meinen Vater gefunden hat. Es ist, als würde ich erneut den Boden unter den Füssen verlieren. Ich möchte ihn so viel fragen, wo mein Vater jetzt  gerade ist, ob er noch lebt, wie er heisst, ob er sich noch im Land aufhält, etc., etc. Ich bin einfach total überwältigt. Ist das, das Ende meiner Suche? Bin ich nun endlich an meinem langersehnten Ziel angekommen? Wie sieht er aus? Möchte er mich sehen und kennenlernen? Habe ich noch Geschwister? Fragen über Fragen, die mir jetzt noch niemand beantworten kann. Herr Abt sagt zu mir: «Ich habe ihren Vater gefunden, ich kann ihnen aber im Moment keine weiteren Angaben machen, da ich ihren Vater zuerst kontaktieren und fragen muss, ob er für ein Treffen mit ihnen bereit ist». Ok! Er lebt also, Gottseidank!!! Es ist ein unbeschreibliches Gefühl. Eine Achterbahn. Unfassbar. So fern und doch so nah. Ich muss also wieder warten. Aber nicht lange. Herr Abt meldet sich schon ein paar Tage später wieder bei mir. «Ich habe ihren Vater nun tatsächlich gefunden und mit ihm gesprochen. Ich habe ihn gefragt, ob er weiss, dass er eine Tochter hat, er antwortete mit «ja». Daraufhin sagte ich ihm, dass sie ihn suchen, und ob er bereit wäre für ein Treffen mit ihnen? Er war total überrascht und musste sich zuerst ein wenig fangen, bevor er weiterreden konnte. Natürlich möchte ich meine Tochter sehen, sprudelte es aus ihm heraus, er konnte es kaum glauben was ich ihm da offenbarte». Herr Abt holte tief Luft, er war sehr berührt, und wollte wissen, ob das für mich auch in Ordnung ist, wenn er ein Treffen organisiert. Und wie es ok ist, für mich, ich werde meinen Vater treffen! Meinen leiblichen Vater aus Afrika. Ich weiss endlich wo meine Hautfarbe herkommt, ich weiss endlich wo meine Wurzeln sind, woher ich abstamme. Und ich werde erfahren, ob ich noch mehr Familie und Geschwister habe. Ich kann es kaum fassen, ich bin total überwältigt. Für viele Menschen ist das nichts Besonderes sie wissen von ihrer Herkunft schon ihr Leben lang. Ich weiss gar nichts. Für mich ist alles neu. Ich hoffe sehr, dass mein Leidensweg bald ein Ende haben wird.

 
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Dunkelheit

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Oja, was hast du bei den Nonnen erlebt?