Asphalt

aus: Luzius Lenherr, Universum Dorf

In den frühen 50er-Jahren veränderten sich der Verkehr und die Strasse vor unserem Haus innert kurzer Zeit. Bald waren die meisten Strassen im Dorf geteert, was früher nur der Kantonsstrasse, die unten am Dorf vorbeiführte, vorbehalten war. Die Staatsstrasse, wie sie auch hiess, vermittelte mir eine ferne Vorstellung von Regierung und Institution, denn dort wurde winters mit Lastwagen der Schnee weggepflügt und sommers auch immer wieder frisch geteert.


Vorbei war die Zeit, wo wir die Strasse als beinahe alleiniges Spielfeld für uns hatten. Vorbei war auch der Staub, der sonst von den sandigen und bekiesten Strassen und Wegen aufwirbelte, sei es durch den Wind, sei es durch einen vorbei dröhnenden Traktor. Wenn das Wetter allzu lange trocken war, wurden die unbefestigten Strassen mit einem Gemisch aus Öl und Wasser abgespritzt, was der Strasse einen bräunlichen, schimmrigen Glanz verlieh. Auch Trottinettfahren ging nach dem Teeren natürlich besser, und einmal bekam ich ein ferngelenktes Auto, mit dem ich auf der glatten Strasse wendig manövrieren konnte.


Gegen Ende dieses Sommers roch alles an uns nach Asphalt, denn wir waren täglich draussen und schauten zu, wie die Lastwagen heissen Teer brachten. Die Arbeiter hatten Bretter an den Schuhen, damit sie nicht einsanken und mussten schnell die Ladung auf der Strasse verteilen. Nachher fuhr die Dampfwalze, wie sie immer noch hiess, auch wenn sie von Diesel getrieben wurde, ganz langsam hin und her, vorwärts und zurück, vorwärts und zurück, bis der Belag wie ein glatter Tisch aussah. Der Fahrer hatte es in meiner Erinnerung schön. Er kontrollierte die mächtige Maschine über ein kleines, schnell drehendes Rad und es schien kinderleicht, damit zu rangieren. Ich bin sicher, dass ich zu dieser Zeit Dampfwalzenfahrer werden wollte.


Die Teerung der Strassen war aber nicht der schnelle Vorbote des Autos. Schon Ende der vierziger Jahre nahm der motorisierte Verkehr auf den Strassen jedes Jahr zu. Die asphaltierten Strassen im Dorf machten ihn aber staublos und erträglicher, obwohl damit auch die Geschwindigkeit zunahm. Wir spielten weiter auf der Strasse, das war das nächste, und auf den Schulplatz ausweichen wollten wir damals nicht. Der war besetzt von den Unterdörflern, die uns – in meiner damaligen Wahrnehmung – immer nur verprügeln wollten.

 
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