Das Verlobungsgeschenk
Aus: Hedi Merki Nadarajah perdu?
Die alte Nähmaschine steht im Keller, mitsamt der Bedienungsanleitung. Sie kam mit durch alle Zügeleien und steht nun wieder im Keller. Wie ich zur Nähmaschine kam, weiss ich nicht mehr. Vermutlich auch eine «Uusrumete» und ich nahm sie mit. Sie ist das Verlobungsgeschenk von meinem Vater an die Mutter. Ich stelle mir gerne diese liebevolle Handlung vor. Es rührt mich, mir das vorzustellen. Wie mein Vater die Nähmaschine meiner Mutter schenkt. Dieser Anfangsmoment einer 66 Jahre langen Beziehung. Vor meinem inneren Auge war schon der Kauf der Bernina Nähmaschine eine sehr ungewöhnliche Handlung für meinen Vater. Mein Vater war der Handwerker, der Automechaniker, der Schlosser. Im Hause baute er neue Wände ein; aber Spiegeleier konnte er nicht kochen. So ging er nun in das Geschäft für Nähmaschinen und liess sich wohl beraten, welche Nähmaschine da passen könnte. Gut, es war eine Maschine, da leuchtet ein Zugang auf.
Als Mädchen erfragte ich die gültigen Fristen für Verlobung und Heirat: wie lange geziemt es sich, sich vor der Heirat zu verloben? Eine Verlobung schien mir etwas ganz und gar Unnötiges. Die Verlobung hiess ja, man versprach sich, zu heiraten. Warum man denn nicht direkt heiratete, leuchtete mir nicht ein. Nach der Verlobung folgt ja die Trauung. Dies hiess wohl, man traute sich dann (endlich, doch noch, wie versprochen), zu heiraten. Meine Mutter sagte mir, nach zwei Jahren verlobt sein, müsste man dann schon heiraten; sonst werde das nichts mehr. Es gab natürlich alle Varianten von Geschichten im Dorf. Die Verlobung wurde wieder aufgelöst zum Beispiel; also der Akt der Verlobung wurde rückgängig gemacht. So war man wohl erst sicher, wenn man in den Hafen der Ehe einfuhr dann. Jedenfalls zur Zeit, als ich ein Mädchen war, wurde fleissig verlobt in unserem Dorf und dann auch meistens geheiratet, also das Eheversprechen eingelöst. Meine Eltern waren da nicht ausgenommen, sie machten alles «wie man es machte». Sie verlobten sich, aber war dies nun vor dem Aufenthalt meines Vaters in Davos? Wohl ja. Jedenfalls wurde dann geheiratet. Man muss anfügen, dass ich bereits vor fünf Monaten gezeugt worden war, als geheiratet wurde. Also gerade noch. Dann kaufte man auf Anzahlung ein Schlafzimmer und eine Wohnstube, also die erforderlichen Möbel dazu (Wohnwand etc.) und los ging’s. Wie gesagt, die Ehe dauerte 66 Jahre, bis zum Tod meines Vaters. Also, die Ehe ist irgendwie immer noch.
Ich stelle mir vor, als mein Vater in das Geschäft für Nähmaschinen ging, wusste er noch nicht, dass er dann an Tuberkulose erkranken und zur Kur fahren würde und dass sich die Heirat dadurch um ca. drei Jahre hinausschieben würde. Auch dass es dann aber schnell gehen würde und er dann «ohne umezluege» die Familie gründen und ernähren würde. Er hat die Verantwortung angenommen und alles gemacht wie man es muss. Zu dieser Zeit waren die Rituale unverrückbar. Die Geschenke waren vorgeschrieben; also es käme niemanden in den Sinn, kein Geschenk zu machen zur Verlobung. Die Heirat hatte ebenso eine Mindestausführung, wie es denn sein solle. Dazu gehörte, dass man mit dem Car in ein Restaurant auf dem Lande fuhr. Dort gab es mindestens ein Mittagessen mit Braten, Kartoffelstock und Bananensplit. Getrunken wurde Rotwein. Die gefüllten Rotweingläser auf den weissen Tischtüchern, sind ein Bild, das mir geblieben ist. Ich spreche nicht von der Hochzeit meiner Eltern, sondern von den Hochzeiten der Onkel und Tanten und Cousins. Am liebsten waren mir die grossen Hochzeiten, an denen die Kinder und Jugendlichen an einem sogenannten «Kindertisch» platziert waren. So waren wir untern uns. Manchmal wurde noch das «Sääli» dazugemietet und nach dem Essen wurde getanzt und es wurden «Schnitzelbänke» aufgesagt. Aus dem Leben der frisch getrauten Eheleute. Dies alles lösten auch meine Eltern ein, für mich einsehbar in den Fotoalben.
Die Verwandtschaft war auch da, wenn es mal kriselte in der Ehe. Dann ging meine Mutter mit mir und meiner Schwester ein paar Tage zu ihrer Mutter oder zu ihrer Schwester. Oder eben ich lebte eine Zeitlang bei ihrer Schwester. Mein Vater blieb; er hatte keinen Ort zum gehen. Ausser dass er in die Garage ging und ein Auto auseinandernahm und wieder zusammensetzte.
Zur Nähmaschine kann man sagen, dass sie wohl ihren Dienst getan hatte. Meine Schwester und ich trugen während Jahren selbstgenähte Kleider. Eingebettet in die Gepflogenheiten und Gesetzmässigkeiten ihrer Zeit würde ich sagen, die Ehe meiner Eltern wurde so geführt, wie sie zu sein hatte. Das mit den Gefühlen ist auf einem anderen Mist gewachsen und blinkt für mich durch, wenn ich an dieses Verlobungsgeschenk denke. Dieses Geschenk rührt mich und ich denke, sie haben sich auch geliebt oder gerne gehabt, meine Eltern, auf ihre Art. Auch wenn es vorgegeben war, dass ein Verlobungsgeschenk sein musste, möchte ich darin sehen, dass es eine liebevolle Handlung war.