Heute geschlossen [Ausschnitt]

Aus: Sonja Krähenbühl, GehRöllwege & Burros im Brot

8. Mai

Morgens um neun Uhr stand ich im Postamt und schickte ein Paket nach Hause. Vollgestopft mit meinen Wanderschuhen und anderem unnötigen Ballast. Wegen dem Papierkrieg schob ich beinahe eine Krise. Jedenfalls schrieb ich zum Inhalt des Pakets: Alte Schuhe! In der Hoffnung, diesmal um die Zollgebühr herumzukommen. Nicht so, wie in der Geschichte mit der Teekanne aus Eisenach, die ich meiner Freundin zum Geburtstag schicken liess. Ich war zu der Zeit geradeaus unterwegs ans nördliche Weltende. Jedenfalls musste das Geburtstagskind nach eidgenössischer Verordnung eine ordentliche Zollgebühr bezahlen. Inklusive der Briefmarke!

Nach dieser morgendlichen Herrschaft der Verwaltung, genannt Bürokratie, ging ich erleichtert weiter. Der Rucksack sah etwas schmäler aus.

Leichten Fusses zog ich weiter und trällerte ein Liedchen. Die Strophen wusste ich nicht auswendig und dichtete mir selbst was zusammen. Das tönte dann so: «Wem Gott will rechte Gunst erweisen, der ziehe in die weite Welt, salut la vache qui rit, la brune, la blanche, je vous souhaite une bonne journée et mangez les plantes.... Tralitrallalalallala...» Mein Publikum am Strassenrand, die Kühe, hörten mir andächtig kauend zu. In der Kirche La Côte Saint André traf ich Pilger Josef, der wegen Fussproblemen die Reise abbrechen musste. Josef erzählte mir, unser australischer Hase, der übrigens Donald hiess, sei ihm gestern dreimal über den Weg gerannt. Seither habe er ihn nicht mehr gesehen. Pilgernachrichten verbreiten sich unter dem Pilgervolk ganz einfach laufend und fortlaufend.

Hier noch Survival-Infos, falls ihr mal in Frankreich unterwegs seid und überleben wollt: Deckt euch umgehend mit viel Essbarem und anderem Lebensnotwendigen ein, sobald ihr eine geöffnete Boulangerie, Pharmacie oder ähnliches entdeckt. Denn: in Frankreich ist Einkaufen für Ungeübte etwas kompliziert. Hier gilt der Montag als Sonntag. Also nix mit Einkaufen. Sonntags ist auch nicht immer überall geöffnet. Halt wie es grad so kommt und welcher Heilige in der Gegend gefeiert wird. Dienstags wäre eigentlich geöffnet. Ausser, der fällt auf einen Feiertag. Die Franzosen finden immer einen Grund zum Feiern, glaubt mir. So wie zum Beispiel an diesem 8. Mai. Da war 1945 das Kriegsende. Um den Tag gebührend zu feiern, wird absolut nicht gearbeitet. Am anderen Tag war Mittwoch. Ob ich da was einkaufen konnte, wusste ich noch nicht. Weil nämlich tags darauf, am Donnerstag, Auffahrt war und somit wieder ein Feiertag. Freitag bis Sonntag wäre es theoretisch möglich, Essen einzukaufen. Aber eben nur theoretisch. Ich traute der ganzen Sache noch nicht. Möglich war, die Franzosen fanden, es lohne sich nicht, erst Mittwoch mit der Arbeit anzufangen, Donnerstag wieder ausruhen zu müssen und dann kurz vor dem Wochenende wieder mit Arbeiten anzufangen. Zu umständlich und zu anstrengend. So überbrücken sie doch am besten von Montag zu Montag. Viel einfacher und angenehmer und bringt den Lebensrhythmus nicht aus dem Gleichgewicht. Wäre ja auch ungesund. Savoir vivre!

9. Mai Tag vor Auffahrt

Seit zwei Tagen pilgerte ich zusammen mit Emmanuelle aus Lausanne. Als ich nach einer kurzen Rast aus dem Wald bog, kreuzten sich unsere Wege. Wir überstanden kurz darauf ein kleines Abenteuer. Pilger erkennen sich übrigens immer sofort an ihrem Habit, dem verschwitzten Gesicht und kameradschaftlichen Lächeln. Ich mochte die Ruhe und Einsamkeit, aber auch die Gemeinsamkeit. Es war schön, den Weg in Gesellschaft zu pilgern, dabei Gleichgesinnten seine Erlebnisse zu erzählen und alle Wehwechen klagen zu können. Geteiltes Leid ist eben halbes Leid und geteilte Freude, doppelte Freude. So motivierten wir uns auch gegenseitig.Wir gingen alle auf demselben Weg.

Das überstandene Abenteuer will ich hier noch kurz beschreiben: Wir mussten einen reissenden Fluss zweimal durchqueren. Das kam deshalb, weil nous avons bavardé (gequatscht) et ne pas regardé (nicht geschaut) les Wegweiser. Also schon ab und zu, aber irgendwo eben grad nicht, weil das Gesprächsthema so immens wichtig war. Um was genau es ging, vergass ich wieder. Wir pilgerten geradeaus weiter und standen auf einmal nahe einem Village. Also das Etappenende konnten wir noch unmöglich erreicht haben. Es war erst 13.00 Uhr. Gut, wir steuerten mal in Richtung Kirche. Die sind immer gut zum Orientieren oder Re-orientieren. Meist und für einige Leute nicht nur geografisch. Die Orientierungshilfe der Kirche war echt der Hammer. Denn genau daneben stand ein Restaurant und das war sogar an einem heiligen Mittwoch geöffnet!! Die Kirche hingegen fanden wir verschlossen vor. Was uns überhaupt nicht interessierte, bei der Aussicht auf frisch gekochtes Essen. Danach ging das Weitergehen flott voran. Bis zum Bach. Da endete der Weg. Was nach Karte und Navi nicht sein konnte. So zogen wir Schuhe und Strümpfe aus und durchquerten die reissende Strömung. Einen Weg gab es auch drüben keinen und so wateten wir wohl oder übel tapfer wieder zurück. Nicht zu vergessen mit Sack und Pack auf dem Rücken und Socken und Schuhe in den Händen! Dank der Orientierungshilfe meiner Freundin Marlise fanden wir doch noch den richtigen Weg. Im Zweifelsfalle immer geradeaus!

Am Abend nächtigten wir auf der «La Petite Ferme» in Assieu. Das mit dem «Petite» schien mir etwas kleinlich. Nun ja, alles ist relativ. So ein Souper in Frankreich dauert etwas länger als bei uns. An die zwei Stunden oder mehr. Es fängt mit einem Apéritif an, gefolgt von verschiedenen Entrées, danach ein Amuse-Bouche, nach diesem ein Salatteller, dann endlich den Hauptgang, als Schlussbouquet Käse und Dessertbuffet. Alles hausgemacht, mit Wein aus der Region. Vive la France!! Hauptsächlich wegen dem guten Essen, den äusserst charmanten Franzosen, ihrem Savoir vivre inklusive Laisser faire, an das ich mich, trotz mangelnder Einkaufsmöglichkeiten, absolument gewöhnen konnte. Exklusiv den krähenden Hähnen morgens um 3.30 Uhr. Dem dortigen machte ich meine Aufwartung, mit der Information, dass ich ein äusserst schmackhaftes Gericht kenne, namens «Coq au Vin!»

11. Mai, Tag nach Auffahrt

Ihr werdet es kaum glauben, aber gestern kamen wir tatsächlich bei einer geöffneten Epicerie (Spezereigeschäft) vorbei und das an Auffahrt!! Emmanuelle und ich stürzten sofort hinein und waren total überwältigt. Seit Tagen sahen wir kein solch üppiges Angebot an Esswaren mehr. Die Verlockung war riesig, nach den eintönigen Menüs für unterwegs, mit vertrockneten, alten Baguette-Resten. Ich konnte mich kaum zurückhalten. Da ich aber alles auf dem Buckel tragen musste, blieb es bei einer Tüte Chips, einem Apfel, einer kleinen Büchse Thon (als Notvorrat), einem Salat mit irgendeinem Gemüse namens Lentilles. Den kaufte ich mir nur, da «Demi-prix» angeschrieben war. Zum Dessert erstand ich mir noch ein Pfund Erdbeeren. Dieses Einkaufseldorado fanden wir nach der Überquerung der Rhone. Dies war genau um 11.00 Uhr und bedeutete für mich ein weiterer kleiner Meilenstein auf meiner Pilgerreise. Ab jetzt befand ich mich im Departement Loire und le Puy-en-Velay war nicht mehr weit. Etwas auf der Höhe über dem Städtchen bei einer Kapelle, setzten wir uns zum Mittagessen. Es ging nämlich bis dahin wieder mal steil bergauf und wegen den eingekauften Leckereien wog der Rucksack um einiges mehr. Wir MUSSTEN ihn einfach erleichtern. Mein Demi-prix-Lentilles-Salat entpuppte sich als Linsensalat. LINSEN!!! Mit denen konnte man mich bisher jagen. Pfui und wäähhh.. Aber der Hunger siegte über aller Abscheu meiner jemals gemachten traumatischen Linsenerfahrungen. Zudem stand etwas von viel Proteinen auf der Verpackung und die brauchte ich sowieso gerade. Runterspülen konnte ich ja, im Falle von ungeniessbar, mit meinen Erdbeeren, die sich während der Bergtour in Sirup verflüssigt hatten. Wie heisst es doch? In der Not frisst der Teufel Fliegen...und die Sonja Linsen. Wobei sie mir erstaunlicherweise recht gut schmeckten. Hab mal gelesen, der Pilgerweg verändere jeden, der ihn gehe. Wie auch immer. Jedenfalls esse ich jetzt Linsen und zwangsmässig bin ich zur Anti-Tabakerin geworden. Daran sind die Franzosen mit ihren ewigen freien Tagen und geschlossenen Geschäften schuld. Tagelang hatte ich nichts zu rauchen und gestern vergass ich in meinem Essens Einkaufsrausch den Tabak. Essen war wichtiger. Zur Not auch Linsen.

 
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