Höhenflug

Aus: Annemarie Käslin, Reise durch mein Leben

Eines Tages kam meine Schwester Emma mit der Annabelle auf mich zu und meinte: «Schau, da ist was für dich». Ich dachte an Mode oder ähnliches. Da stand in Fettdruck: «Gesucht: die ideale junge Schweizerfrau». «Meinst du mich?» fragte ich zurück. «Ja, das meine ich, melde dich an.» «Ich habe doch Null Chancen, da melden sich genug Akademikerinnen». «Probier’s doch, kannst ja nichts verlieren».

Ich nahm mir Zeit und studierte die ganzen Anforderungen. Irgendwie stach mich der Hafer, ich bewarb mich. Es dauerte eine ganze Weile, ich dachte kaum noch daran, dann kam eine Einladung für die Vorwahl in Luzern. Von über tausend Bewerberinnen kamen 30 in die engere Wahl und je zehn hatten sich in Bern, Zürich und Luzern Jurymitgliedern zu stellen. Wir bekamen einige typische Hausfrauen-Arbeiten zugewiesen und wurden in Allgemeinbildung samt Sprachkenntnissen getestet. Ich fühlte mich gut und locker und genoss den Nachmittag mit interessanten Leuten. Die Jury zog sich kurz zurück und verkündete zwei Namen für die Endausscheidung in Zürich. Unglaublich, aber ich war dabei. Ich, ein ausgewachsenes Landei mit vier kleinen Kindern.

Mitgegangen, mitgefangen … die Ehemänner waren zum Event nach Zürich eingeladen. Das erleichterte etwas meine Nervosität, obschon, ich war überzeugt, das wars dann schon.

Wir trafen uns im Kochstudio von G. Schaller. Alle sechs Frauen bekamen dieselben praktischen Aufgaben zugeteilt. «Sie bekommen unerwartet Gäste, aber der Kühlschrank ist fast leer. Machen Sie was draus». Oha. Da lagen etwas Schinken, Eier und im Vorrat ein Büchsli Erbsli, frische Tomaten, etwas Schnittlauch. Ich bastelte einen Zweigänger. Als erstes eine Einlaufsuppe, als zweites eine Schinkenomlette und Tomaten mit Erbsli gefüllt. Dies schien alle zu verblüffen. Als einzige präsentierte ich eine warme Mahlzeit. Alle anderen entschieden sich für eine schön dekorierte kalte Platte.

Als nächstes stand Hemdenbügeln an. Wenns weiter nichts ist. Dann ein Interview mit Frau Eva Maria Borer und Hans Gmür. Sie testeten ähnlich wie in Luzern unser Allgemeinwissen, auch in Kunst und Literatur, Staatsbürgerkunde samt Sprachkenntnissen. Das alles immer beobachtet und gefilmt von Gästen ringsum.

Anschliessend wurde der ganze Tross ins Beauty Center Juvena verfrachtet. Ich nahm an, es war eher eine PRGag für die Firma. Letzte Aufgabe, sich für einen Abend zurechtmachen. Irgendwann sagte ich etwas vorlaut vor mich hin: »Bei rot und grün kenne ich mich besser im Strassenverkehr aus». Eine Zuschauerin lachte laut, es war Ueli Pragers Frau Leonie. Mein Spruch machte dann natürlich die Runde.

Frisch aufgemotzt und beduftet ging’s allenthalben zum Nachtessen ins Restaurant Börse. Im La Puce erwartete uns ein reich bestückter Gabentisch. Ich war mir sicher, auch als Letzte krieg ich noch was ab. Hans Gmür begrüsste die Gäste und führte gewohnt humorvoll und eloquent durch den Abend.

Wir sechs Finalistinnen wurden einzeln vorgestellt. Dann ein Tusch von der Kapelle, Hans Gmür fasste nach einem Riesenblumenstrauss und verkündete nach einer Kunstpause den Namen: Annemarie Käslin aus Beckenried. Mir blieb das Herz wirklich fast stehen. Auf jeden Fall schaltete mein Herzschlag auf unregelmässig. Gleichzeitig schossen mir Tränen in die Augen, zu allem Überfluss wurde auch noch ein Statement erwartet. Wahrscheinlich keine Glanzleistung.

Ich befand mich in einem Ausnahmezustand. Ich bekam gerade noch mit, dass ich als Erste an den Gabentisch gebeten wurde. Mir stach ein Schmuckgutschein von Pierre Baltensberger ins Auge. Zudem durfte ich noch eine Flambiergarnitur und eine sehr schöne, reich bestückte Beauty Case von Juvena mit heim nehmen. Einige Tage später löste ich den Schmuckgutschein in Perlohrringe und einen Solitärring ein. Den Ring trage ich seither täglich.

Der Ausnahmezustand dauerte etliche Wochen samt halbdurchwachten Nächten. Ich war durch das Restaurant sozusagen öffentlich zugänglich und musste immer wieder dieselben Fragen beantworten. Im Grunde war ich eher scheu, der Rummel ungewohnt und ermüdend. Die Kleinen holten mich täglich zurück in den Alltag, das war gut so. Aber ganz ehrlich, diese Erfahrung tat mir gut. Endlich konnte ich das Etikett meiner Grossmutter ablegen: «Dui bisch nid und wirsch nid».

Eva Maria Borer, Chefredakteurin der «Annabelle», tauchte eines Tages samt Fotograf bei uns im «Schwänli» auf. Sie wolle mich, wie sie mir erklärte, in meiner Umgebung und bei meiner Tätigkeit beobachten. Hier Auszüge aus ihrem Bericht:

Warum hatten wir sie gewählt? Nur weil sie bei unserenWettbewerbsprüfungen die höchste Punktzahl erreicht hatte? Oder hatte ihr frisches, natürliches Wesen, ihre Vitalität und Unkompliziertheit mitgesprochen? Oder hatten wir bereits eine Ahnung von der Arbeitsleistung bekommen, die diese immer fröhliche, junge Frau und Mutter von vier Kindern bewältigte? Auf alle Fälle nahmen wir uns damals vor, sie den «Annabelle»Leserinnen noch vorzustellen. Die Eltern führen die Wirtschaft, die junge Schwester serviert, Annemarie betreut den Laden und kocht mittags und abends für die Gäste häufig bis zu 12o Essen pro Tag. Ihr Mann ist an der Klewenbahn beschäftigt.

Ebenso wesentlich wie der Rahmen ist der Hintergrund dieses Bildes. Annemarie entstammt einer Familie, in der lange vor der Frauenemanzipation einer Reihe von ungewöhnlich tüchtigen, energischen Frauen aufeinander folgten. Da ist die schon fast legendäre Urgrossmutter, von Beruf Hebamme, nach Feierabend Herrencoiffeuse. Dann Grossmutter Hurschler, gleichfalls Herrencoiffeuse, die später im Dachdeckergeschäft des Mannes half und ihren Ehrgeiz durchsetzte: jedem ihrer vier Kinder ein wenn auch kleines, eigenes Geschäft zu hinterlassen. Da ist die Mutter, Frau Waser, die 1956 vom «Sternen» in Stans in den «Schwanen» übersiedelte, eine tüchtige, energische Wirtefrau. Und es wurde sozusagen Familientradition, dass diese fleissigen, selbstbewussten Frauen nicht nach Geld und Gut, sondern ausschliesslich einzig nach der Neigung ihres Herzens heirateten. Annemarie bildet keine Ausnahme. Ich habe ihr zugesehen, wie geschickt sie im Laden bediente, Haushaltsgeräte für die Dorfbewohner, Souvenirs für Feriengäste, Werkzeug, Nägel, Geschirr und Gartengeräte. Ich habe sie nachher in der Küche beobachtet, als ein Bestellzettel nachdem anderen heraufkam, zwei Jägerschnitzel, drei Rahmschnitzel, Güggeli mit Pommes-frites, und ich habe ihre Ruhe und Sicherheit bewundert, weil immer ein paar Kinder mit «Mami lueg» herumwimmelten, genau indem Moment, wo das Schnitzel gewendet oder durch eine elegante Schlagrahmrosette dekoriert werden musste.

Kunden des «Schwänli» sind nicht nur Beckenrieder, sondern auch Bewohner von Ferienhäusern-und Wohnungen, die die heimelige Atmosphäre, das reelle, immer frisch zubereitete Essen und den promten, freundlichen Service zu schätzen wissen. «Wir sind kein Spezialitäten-Restaurant», erklärt mir Annemarie, «wir haben es nicht gelernt und könnten es auch nicht». Das Kinderzimmer, in dem alle vier schlafen, zeigt deutlich die verschiedenen Neigungen. Yvonne hat eine ausgesprochen künstlerische Ader, sie malt und stickt nach eigenen Entwürfen und hängt und stellt ihre Erzeugnisse über ihrem Bett auf. Thomas sammelt Steine. Die kleine Annemarie ist verspielt und steckt voller Eulenspiegeleien. («Ich bin Papis Lump») und Nesthäkchen Peter schläft in einem von einem Onkel geschnitzten Wiegenbett und ist der zärtlichste. Man spürt den Kindern an, dass die Mutter immer Zeit und Musse für sie hat. Sie benehmen sich auch mit uns Fremden frei und ungehemmt, ohne aufdringlich oder laut zu sein.

Bevor ich den Alltag wirklich zurück gewann, stand mir noch die europäische Ausscheidung bevor. In Begleitung der Swissair-Hostess Piroschka Stauffer, einer Redaktorin samt Reporter von Radio Zürich flog ich nach Rom und von dort in einer fünfstündigen Busfahrt nach Montecatini Terme. In meinem Koffer ein wunderschönes Kleid aus St. Galler Spitzen, welches extra für den dortigen Gala Abend gefertigt wurde.

Am ersten Abend trafen sich die 15 europäischen Superhausfrauen zu einem Gruppenfoto zusammen, um anschliessend vom charmanten Signor Corrado, dem italienischen «Mäni Weber» einzeln interviewt zu werden. Die TV Kameras übertrugen das Ganze.

Anderntags standen Hausfrauen-Qualitäten auf dem Programm. Kochen, nähen, bügeln plus Interviews mit Jury-Mitgliedern ähnlich wie in Zürich, entweder in Italienisch, Französisch und Englisch, ich wählte Englisch und Französisch. Ich wurde nach Dürrenmatt und Max Frisch befragt sowie über Alltagsfragen wie: «Wie denken Sie über den Mini-Jupe, wer kann ihn tragen? Wie handhaben Sie die sexuelle Aufklärung des Kleinkindes?» Meine angespannte Nervosität war völlig umsonst.

Zum Kochen konnte sich jede zum Voraus Gedanken machen und die Zutaten gleich mitnehmen. Meine Wahl fiel auf «Züri-Gschnätzlets und Rösti» samt kleinem Vorspeisenteller mit Bündnerfleisch.

Liebend gerne hätte ich meine Mitbewerberinnen näher kennen gelernt. Es fehlte einfach die Zeit. Die Irländerin war eine wunderschöne Frau, blaue Augen und pechschwarzes Haar. Frau eines Guinness-Erben und Autorennfahrers. Die Spanierin kam samt ihrem Baby und der ganzen Familie, Eltern und Grosseltern und wirbelte temperamentvoll durch die Tage.

Für den Abend schlüpfte ich in mein königliches Spitzenkleid und wurde von unserem Fotografen von allen Seiten abgelichtet. Die Gewinnerin, eine Norwegerin, sportlich, selbstbewusst, unkompliziert, gewandt und gut gebildet. Ich gönnte es ihr von Herzen und war froh, dass dieser Kelch an mir vorbei ging.

So konnte ich endlich zurück in meinen auch nicht gerade beschaulichen Alltag mit den Kindern, dem Geschäft und dem Restaurant. Aber, dieser Ausflug in eine Welt der Shows und des Glamours werde ich trotzdem nie vergessen.

 
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