Zwischen zwei Welten [Ausschnitt]

Aus: Monique Demierre, Zwischen zwei Welten

Jää doo, dieses Wort, das ich bereits in meinem ersten Buch mehrfach erwähnt habe, war wohl das einzige gemeinsame Wort zwischen der Sprache meines Vaters – Elsässisch – und jener meiner Mutter – Baseldeutsch. Beide haben es gerne benützt, mein Vater und seine Geschwister, wenn sie sprachlos waren angesichts ihrer Erfahrungen während des 2. Weltkrieges, mit all dem Traumatischen und den unendlichen Entbehrungen, und sie dem Erlittenen keine Worte geben konnten oder wollten. Wenn ein Verwandter oder Bekannter erwähnt wurde, der im Krieg gefallen war, sagten sie meistens nur jää doo, keine Tränen, kein Trauern. Meine Mutter muss wohl diesen Ausdruck, der damals im Baseldeutsch nicht geläufig war (und es noch immer nicht ist), von ihrem Mann übernommen haben; sie hatte sich angewöhnt, erschwerende Lebensumstände mit jää doo zu kommentieren: Das Brot wurde schon wieder teurer, die Kartoffelernte im eigenen Garten fiel zu dürftig aus, eines der Kinder war hingefallen und weinte: jää doo. Soviel zur mündlichen Verständigung zwischen meinem elsässischen Vater und meiner Basler Mutter. Und da sie sich ein Leben lang spinnefeind waren, beharrten beide darauf, dass wir Kinder mit ihnen ausschliesslich in ihrer je eigenen Mundart zu sprechen hatten; schon früh gelang mir das jeweils reflexartig, denn ein Übertreten dieser unausgesprochenen Regel hatte Liebesentzug zur Folge, ein bedrohlicher Zustand für jedes Kind. So schaukelte ich sprachlich hinauf und hinunter, je nachdem, wem ich antworten sollte. Sprechen war damals eine Gratwanderung, ein Balancieren über hohe Zinnen und gleichsam eine prägende Schulung meiner Ausdrucksweise; meine Schulkameradinnen fanden es jedoch ulkig, wenn ich beim Sprechen mangels des richtigen Begriffs immer wieder einmal auf ein schweizerdeutsches Wort auswich. Und während meiner langen Sommerferien in Basel stürzten sich meine Verwandten wie Habichte auf jedes elsässische Wort, das ich versehentlich gebrauchte, und gab ihnen damit unverhofften Grund, so empfand ich es, zu dünkelhafter Belustigung; und ich, das kleine Èlsässerlì, fühlte mich auf frischer Tat ertappt! Ich gehörte definitiv nicht zu dieser Sippe, fühlte mich einmal mehr blossgestellt und ausgeschlossen aus ihrem Clan.

Sprechen war für mich damals, die ich mit zwei verschiedenen Dialekten der alemannischen Mundart aufwuchs, eine Gratwanderung, ein Balancieren über hohe Zinnen, welche meine Eltern verkörperten. Obwohl Baseldeutsch und Elsässisch sich in vielem sehr ähnlich sind, war das sich Herantasten an die Wortwahl immer wieder voller Stolpersteine, die es zu überwinden galt.

Sälbertsmòll –  Zällämools

Meine Mama, die wir Kinder «baselkonform» Mamme nannten, liebte Sprichwörter und setzte sie bei jeder Gelegenheit ein. So sagte sie jedes Jahr am 2. Februar, soo mängi Schtùnd wie d‘Sùnne an Maria Liechtmäss schiint, soo mängi Wùche bliibts nò kalt. Ob diese alte Bauernregel zutreffend ist, entzieht sich meinem Wissen. Meine beiden Schwestern und ich freuten uns jedoch, wenn dieser Tag trüb oder gar bedeckt war, das verhiess laut Mamas Vorhersage baldige mildere Zeiten, wo wir wieder draussen spielen und der Enge des kleinen, düsteren Hauses neben der Sägerei von Buhl für kurze Momente entfliehen konnten. Der Winter war eine bitterkalte Jahreszeit damals, oftmals war es Stäi ùnd Bäi gfròòre ùnd ich haa Hòòrnììgle an de Fìnger ghaa; es lag Schnee, der bis Ende Februar liegen blieb und die Pfützen auf dem ungeteerten Weg vor dem Haus blieben lange gefroren. War es also am 2. Februar wolkenverhangen, liess das uns hoffen, dass wir uns bald der rauen und kratzigen Wollstumpfhosen würden entledigen können, die unsere Basler Grossmutter, s’Groossmütti, mit Hingabe für uns strickte; die brauchten wir im Winter, denn lange Hosen trugen wir, wie die meisten Mädchen damals, nie, nur Schüplì ùnd Dräägerrögglì. Und für mich bedeutete dieser Übergang in die neue Jahreszeit auch, dass die so ersehnten Ferien in der Schweiz immer näher kamen.  

Während er seine Ällümèttlä uff em Känschterlä suchte, um s’Sigärèttlä (Gauloises bleues sans filtre) anzuzünden, meinte mein Vater, wiä dr Féwrié, soo dr Oigscht, denn auch er hatte eine Anzahl an Sprichwörtern auf Lager. Und an meine Mutter gerichtet ergänzte er, s‘Wädder ìsch hìtt s’nämligä müüdrig wiä dü – womit er ihre schlechte Laune meinte. Danach ging er mit seinen gelb verfärbten Uhrglasfingernägel, eine durch das viele Rauchen verursachte Nagelverformung, zurück zur Arbeit als Heizer der Sägerei, neben welcher wir wohnten, und hinterliess im Haus eine blaue Rauchwolke, die allmählich die Wände verfärbte und sich in unsere Kleider und den Vorhängen und Möbeln wie kleine, übelriechende Motten zwischen allen Ritzen einnistete. Die durch Erdkrümel und Sägemehl am Boden hinterlassene Spur erzürnte Mama – als òb ii nìt schò gnueg z’due häig –, sodass sie verärgert Bääse ùnd Schüüfelì hervorholte und als Erstes schon wieder putzen musste.

Dr Grättimaa – S’Männälä

In Basel staunte ich über die verschiedenen Kleinbrote, die für mich lustige Namen hatten: E Batzeläiblì – ein gut gebackenes, mit Mehl bestäubtes Doppelbrötchen, ausserhalb von Basel Büürli genannt –, e Schlùmbäärgerlì – ein rundes helles Brötchen – und e Schwööblì, auch als Fùdiwegglì bekannt – ein zweigeteiltes Milchbrötchen. Schwööblì ist eine Persiflage auf die schwäbischen Bäcker, die früher als Gastarbeiter in Basel tätig waren. Ab und zu erhielt ich bìm Bègg an dr Zürcherstroos e schüüch èrhòffts Dääfelì ooder e Gutzi. Bei uns zu Hause gab es drei Sorten Kleinbrote: ä Süüwègglä, ä Zùckerwègglä und ä Mìlchwègglä. Das in Basel als Grättimaa (Grittibänz in Zürich) bekannte Teigmännchen, heisst im Elsass Männälä und wurde früher jeweils nur am 5. und 6. Dezember vum Sàndi-Klois ùn vum Hans Tràpp dä brààvä Kénder gäbròòcht und nicht schon, wie heute üblich, bereits Ende November verkauft. Ùn vor‘m Hans Trapp hänn àllä Kénder Àngscht khètt: wènn dä nìt brààv bìsch, stopft är dìch ìn Sàck ùn nìmmt dìch mìt, sagten die Eltern ihren Kindern.

 
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Das bunte Schaf [Ausschnitt]