Ich wiegte mich im Gefühl, daheim zu sein

Erfahrungsbericht von Blazenka Kostolna

Eines Tages wurde ich von meinem Neffen aus Tschechien angefragt, ob ich meine Biografie schon irgendwo verkauft hätte. Er würde jemanden kennen, der sie für mich schreiben könnte. Eine seltsame Frage, dachte ich. Wieso sollte ich das tun, meine Biografie verkaufen? Ich bin doch als Person nicht speziell, keine bekannte Persönlichkeit, für die sich die Öffentlichkeit interessieren könnte! Und überhaupt, falls eine Biografie über mich geschrieben werden soll, dann nur von mir. Ein Ghostwriter könnte vielleicht einige Eckdaten zu meinem Leben bekommen, aber nie wissen oder auch nur erahnen, was und wie ich gedacht, gefühlt und wie ich meine Welt wahrgenommen habe. Er könnte höchstens nach eigenen Erfahrungen Vermutungen anstellen, die das Bild und den Raum meiner Lebensgeschichte total verfälschen würden.

Ich selbst habe, vor allem wenn irgendwelche Brüche in meinem Leben stattgefunden haben, schon einige Male versucht, meine Biografie zu schreiben – aber eben, nur versucht. Als ich über 50 war, folgte ich meinem plötzlichen Bedürfnis, etwas mehr über meine Eltern, Geschwister und Grosseltern zu erfahren, die ich mit 15 verliess, als ich nach Bratislava studieren ging. Ich reiste in meine Heimat, besuchte die Orte, an denen ich gelebt hatte und befragte all meine noch lebenden Verwandten darüber, wie es war, wie meine Eltern und Grosseltern waren und wie es heute für sie ist. Es war eine eindrückliche Reise in die Vergangenheit, in das Land und zu den Menschen, die mich geprägt haben, als hätte die Zeit dazwischen keine Bedeutung gehabt und mein Gedächtnis etwas Lebendiges wäre, das gerade wieder erwacht ist. Ich wiegte mich im Gefühl, daheim zu sein.

Und dann, wie ein Wink mit dem Zaunpfahl, genau zum richtigen Zeitpunkt, glotzte mich provokativ aus der Zeitung ein Inserat des Unik-Verlags an und forderte mich heraus, die Biografie tatsächlich zu schreiben. Dazu kam auch, dass zur gleichen Zeit eine von meinen Kusinen, die in den USA lebt, sich bei mir meldete, da auch sie angefangen hatte zu forschen und zu recherchieren. Wir tauschten gegenseitig die Informationen über unsere gemeinsame Familie in der Slowakei aus und versuchten den Stammbaum unserer Familie zu erstellen. Ich beschloss, diesem Wink des Schicksals zu folgen, meldete mich beim Unik-Verlag und begann zu schreiben. Dabei war es sehr hilfreich für mich, dass ich einige Texte schon hatte, das Schreibtempo genau definiert und die Zeit begrenzt war. Vier Monate ist für eine Biografie doch eine kurze Zeit und vielleicht darum auch so erfolgversprechend, denn man bleibt dabei und das Tag für Tag.

Als ich dann die Biografie tatsächlich im Buchform in den Händen hielt, verspürte ich dieses wunderbare Gefühl, gepaart mit Stolz und Glücklichsein. Ich las die Texte, als hätte ich ein fremdes Buch in der Hand. Dann stellte ich aber fest, dass einiges falsch gelaufen war: Ich ärgerte mich, dass ich mich zu sehr auf meinen Korrektor (einen guten Freund) verlassen und es nicht nachkontrolliert hatte, da die Zeit doch zu kurz war, obwohl ich wusste, dass man nach der Erscheinung des Buches keine Möglichkeit mehr zur Korrektur hat. So ist es mir ergangen, die Freude gepaart mit Frust, diese seltsame Gefühlsmischung, welche sich auf mein Denken und Handeln auswirkte und mir fortwährend zuflüsterte: «In dieser Form kannst du deiner Familie keine Biografie schenken.» So schrieb ich mich für das nächste Schreibseminar nochmals ein, korrigierte und ergänzte meine Texte – Zeit hatte ich genug. Die Bearbeitung hat sich gelohnt und ich kann jedem nur empfehlen, die Hilfe eines Korrektors in Anspruch zu nehmen, auch wenn sie nicht gerade günstig ist. Endlich war ein Abschnitt meines Lebens schriftlich ins Reine gebracht, dachte ich, aber weit gefehlt.

Ich beteiligte mich an Lesungen, organisiert durch den Unik-Verlag, aber auch von mir selbst und freute mich über das Feedback. Auch machte ich, als ich mit anderen Frauen zusammen las, die Erfahrung, dass viele Erinnerungen, vor allem was unsere Grosseltern betraf, die gleichen waren.

Meine Kindheit spielte sich hinter dem Eisernen Vorhang ab, den ich mir als Kind tatsächlich als eine Mauer aus Eisen vorgestellt hatte, und doch war das Leben hinter und vor dem Vorhang fast das gleiche, die Rituale, die Lebensweise und die Weisheiten der älteren Generation, die sie an uns weitergaben. Als ich dann einige Kapitel in meine Muttersprache übersetzt hatte, merkte ich, dass ich das Buch schon wieder von Neuem schreibe – dass es eine unendliche Geschichte ist, die in und von uns immer wieder von Neuem erzählt sein will, und dass auch die Erinnerung ihr eigenes Leben hat.

Zurück
Zurück

Gedichte von Lotti Kofler

Weiter
Weiter

Deine Feder