Jäten
Aus: Romana Taeuber Egli, Alter – Abenteuer mit bekanntem Ausgang
In Davos hatte ich einen Garten auf 1500 Metern Höhe, in dem alte Rosensorten neben Rittersporn und Akelei blühten. Die Wachstumsperiode war kurz, der Winter mit meterhohem Schnee dauerte fast ein halbes Jahr und so war ich glücklich über alles, was da wuchs. Mit Unkraut musste ich mich nicht abplagen, es blühte ja meist sogar noch! Oft konnte ich dazumal auch nicht so recht unterscheiden, ob Kraut oder Unkraut. Ich erinnere mich, mehrmals etwas ausgerissen zu haben, was auch eine erwünschte Pflanze hätte sein können.
Ganz anders im Unterland! Hier scheint die Hauptbeschäftigung der Gärtner aus Zurückschneiden, Ausreissen und Jäten zu bestehen. Zu bestimmten Jahreszeiten, im Frühjahr und im Herbst sind ganze Heerscharen von Gärtnern in den Quartieren anzutreffen. Sie füllen grosse Säcke mit Laub, schneiden Äste und Hecken und jäten zwischen den Rabatten. In meiner ersten Zeit im Unterland bricht mir fast das Herz, wenn ich irgendwo einen abgesägten Ast oder gar einen gefällten Baum sehe. Wie lange hat es gedauert, bis das Bäumchen gewachsen war? Ich habe immer noch die hochalpine, langsame Wachstumsdauer vor Augen. Mit den Jahren stelle ich aber fest, dass die Natur hier im Flachland weitaus üppiger und schneller wächst.
Zu unserem Haus gehört ein kleiner Garten. Er besteht aus einer Rabatte und einem kleinen Rasen, der dank seinem grossen Moosanteil immer hübsch grün leuchtet. Ein paar Büsche grenzen das Haus gegen die kleine Strasse ab. Auf der Nordseite des Hauses liegen Parkplätze, die von einer Hecke begrünt werden. Niemand von unseren Mitbewohnern fühlt sich für dieses Grün zuständig. Ich hatte ja Erfahrung mit einem Garten und wollte mich darum kümmern. Anfangs hatte ich grosse Pläne und dachte, ich könnte die lieblos angelegte Rabatte schön gestalten, vielleicht mit Pflanzen, die alle blau blühen oder irgendein anderes Konzept entwerfen. Doch der schwere, unnachgiebige Lehmboden machte bald einmal meine Träume zunichte. Ich kapitulierte.
Jetzt beschränke ich mich darauf, zu jäten und zu schneiden. Der Efeu wächst besonders schnell. Er will sich den Vorplatz erobern. Doch in diesem Kampf bleibe ich der Sieger. Mittlerweile habe auch ich das Herz eines Unterländer Gärtners und schneide unerbittlich alles akkurat zurück. Dabei ernte ich so manchen anerkennenden Blick der Vorbeigehenden. Es fällt mir auf, dass man mit der Schere in der Hand plötzlich wahrgenommen wird. Ich staune, wie schnell der grosse Gartensack voll ist! Man sieht was man tut. Das ist schön!
Doch meine allerliebste Beschäftigung im Garten ist das Jäten! Jetzt als Rentnerin habe ich ja Zeit. Die braucht es auch um den richtigen Moment abzuwarten. Nur wenn es ausgiebig geregnet hat, macht das Jäten so richtig Spass! Der Boden muss so locker sein, dass ich das Pflänzlein mit leichtem Zug daraus befreien kann. Wenn es im Sommer also mehrere Tage lang regnet, lacht mein Herz! Ich gehe hinunter in den Garten und mache einen Versuch: Ja, das Unkraut lässt sich samt Wurzel aus dem zähen Boden ziehen. Es kann losgehen!
Es gibt verschiedene Arten von Unkraut, die ja alle eigentlich nur gemäss einer gärtnerischen Definition nicht Kraut, sondern Unkraut sind. Da gibt es den Löwenzahn, der ist mein grösster Widersacher, da er sich mit seiner langen Pfahlwurzel an seinem Erdreich festklammert. Es gelingt mir nicht ihn auszureissen, also ignoriere ich ihn. Dann gibt es noch eine Winde, die immer viel schneller ist als ich und die gerne um alles ihre Ranken schlingt. Oder das Spitzgras, das mit seinen langen Rispen gar nicht so schlecht aussieht, sich aber rasend schnell vermehrt. Mein liebstes Unkraut ist ganz unscheinbar, hat weisse, winzige Blüten, die im Herbst zu kleinen Kletten werden. Es lässt sich so schön mit der Wurzel aus der feuchten Erde ziehen, dass es ein sinnlicher Genuss ist! Sogar im Wald begegne ich meinem Liebling. In diesem lockeren Boden wäre es ein Leichtes ihm den Garaus zu machen. Ich kann mich aber zurückhalten mit jäten; hier darf es sein, hier hat es seinen Platz, den ich ihm nicht streitig mache. Hat es wieder geregnet, warte ich gespannt, bis die Triebe, die aus den Ritzen zwischen den Bodenplatten spriessen, lang genug sind, um sie mit einem wohligen Seufzer herausziehen zu können.
Der letzte Sommer war sehr heiss. Wochenlang fiel kein Regen, die Erde war steinhart. Die Natur war sehr damit beschäftigt überhaupt zu überleben. Da war an Jäten gar nicht zu denken. Bei einem Gespräch mit Herrn C., unserem Haussanitär mit italienischen Wurzeln, stelle ich fest, dass auch andere Menschen die ein bisschen belächelte Leidenschaft des Jätens kennen. Wir beide bedauern, dass uns der trockene Sommer um unsere Leidenschaft gebracht hat. Ja, die Stunden der ruhigen Beschäftigung in der Natur, in der frischen Luft bringen mir ausser Rückenschmerzen grosse Befriedigung. „Für mich ist das Unkrautjäten wie Meditation!”, bekennt Herr C. Ein Gesinnungsgenosse! Verständnisinnig nicke ich ihm zu.