«Käfer Josephine» und Elisabeths Barfussweg
Aus: Elisabeth Leu-Lehmann, Mutig vorwärts …
Volkswagen «Käfer Josephine»
Im Jahre 1966 habe ich Autofahren gelernt. Ich hatte Fahrschule mit einem Fahrlehrer aus Burgdorf. Eine Fahrstunde mit Lehrer kostete 16 Franken, zu dieser Zeit ein grosser Betrag. Zum Glück kam ab und zu mein Vater oder Bruder Hansjakob mit mir auf die Strasse und vor allem in die Stadt Bern. Herr Lehmann, Sattlermeister, hatte erfahren, dass ich am Autofahren-Lernen bin und mir ein Auto anschaffen wollte. Er bot mir seinen VW Jahrgang 51 mit Zwischengasschaltung für hundert Franken mit vier Winterpneus dazu an. Ich überlegte nicht lange und machte den Autohandel. Nach fünf Fahrstunden wurde ich zur Prüfung angemeldet. In der Theorie war ich nie, habe aber das Heft mit den Verkehrsregeln gut angeschaut. Ich war mit Bruder Hansjakob und seiner Ehefrau Trix in Italien in den Ferien und konnte aus diesem Grund die Theoriestunden nicht besuchen. Für mich war klar, dass ich jetzt die Fahrprüfung machen wollte.
Der Fahrlehrer fuhr mit mir zum Strassenverkehrsamt nach Bern, ins Breitenrain-Quartier. Er war nicht erfreut, dass ich nie in die Theoriestunde gekommen war. Für meinen Fahrlehrer war klar: «Die fliegt bei der Theorieprüfung durch!» Jetzt galt es ernst, ich wurde zuerst in Theorie geprüft. Wir waren zwei Frauen, welche von einem Experten über Verkehrsregeln mündlich abgefragt wurden. Die Frau, welche gleichzeitig mit mir geprüft wurde, war sehr schlagfertig, schnell und sicher im Beantworten der Fragen. Der Experte stellte mir nach der Beantwortung durch sie immer die Frage: «Stimmt es, was Frau X gesagt hat, oder ist es falsch?» Sofort bemerkte ich, dass diese junge Frau sackstark war und die gestellten Fragen immer richtig beantwortete. So war es für mich ein einfaches Spiel und die Theorieprüfung verlief ohne Probleme. Beim Hinausgehen meinte der Experte, dass wir beide die theoretische Prüfung mit Bravour bestanden hätten. Super, der erste Schritt war geschafft und nun ging es ans praktische Fahren im Auto des Fahrlehrers.
Ich und der Experte stiegen in das Auto, das am Hang parkiert war. Auf jeden Fall startete ich, aber fast gleichzeitig starb der Motor ab und der Experte sagte barsch zu mir: «Was, nid emal dr Motor starte chöit dir u de weit dir d Outoprüfig mache?» Ja, ich fuhr dann los, war aber schon ein wenig irritiert. Nun musste ich vom Bärenplatz in die Schauplatzgasse fahren, dort hatte man beim «Loeb-Eggen» Rechtsvortritt. Jetzt dachte ich an den Fahrlehrer, welcher mir beigebracht hatte, dass man bei Vortritt fahren soll nach einem Kontrollblick. Wie gelernt fuhr ich aus der Schauplatzgasse und in dem Moment kam von unten links ein Lastwagen und nahm mir prompt den Vortritt, sodass der Experte voll auf die Bremsklötze trat und schrie: «Weit dir mi grad töte?!» Jetzt hatte ich weiche Knie und war total verunsichert. Anschliessend lotste mich der Fahrlehrer Richtung Strassenverkehrsamt und ich war mir sicher, dass ich die Prüfung nicht bestanden hatte. Dem war auch so: Theorie bestanden, praktisches Fahren wiederholen! Mein Fahrlehrer meinte, es hätte anders sein können. Er meldete mich gleich wieder an und so konnte ich am 19.09.1966 nochmals für die praktische Prüfung antreten.
Der Experte fragte mich, warum es das erste Mal nicht geklappt habe. Ich erwiderte: «Ha am Stutz nid chönne afahre u bi agschroue worde. Bim Loeb-Egge ha i dr Rächtsvortritt erzwunge u dr Experte het vou uf d Brämschlötz müesse drücke!» «Ja, wenn das so ist, fahren wir heute ein wenig über Land.» Ich weiss noch heute nicht, ob der Experte Angst hatte, mit mir in die Stadt zu fahren, oder ob er mir die Stadtfahrt ersparen wollte. Nach einer halben Stunde Fahrt nach Ittigen Richtung Ostermundigen fuhren wir zurück zum Strassenverkehrsamt und der Experte erklärte nach dem tadellosen Einparken: «Fröilein Lehmann, dir heit bestande, i gratuliere u wünsche euch bim Outofahre aues Guete!» So stolz, es hat geklappt! Mein Fahrlehrer war erfreut, dass es dieses Mal bei der praktischen Autoprüfung gut gegangen war und gratulierte mir. Freudig zu Hause mit dem Fahrlehrer angekommen, konnte ich es fast nicht erwarten, mit meinem VW, den ich «Käfer Josephine» taufte, von Hindelbank nach Frutigen zu fahren. Ich habe da- mals bei Wäflers auf dem Bauernhof in der Dachwohnung mit meiner Freundin Susi gewohnt und im Spital Frutigen in der Röntgen-Abteilung gearbeitet. Ich sehe mich noch heute, wie ich stolz Richtung Frutigen unterwegs war und meinen VW «Käfer Josephine» exakt neben dem Miststock parkierte. Diese erste Fahrt ohne einen Beifahrer war wie auf einem anderen Planeten, einfach ein einmaliges Gefühl, allein am Steuer mit dem eigenen Auto mutig vorwärts! Sicherheitsgurten kannte man zu dieser Zeit nicht.
Schön zu wissen, dass Käfer Josephine nach drei Jahren unfallfreier Fahrt mit mir, einem Landwirt als Milchauto diente. Der Landwirt kaufte mir für dreihundert Franken den achtzehnjährigen VW ab. Mein erster erfolgreicher Handel war somit perfekt. Nun wechselte ich zu meinem lang ersehnten Wunschauto: einem grünen Mini Morris.
Elisabeths Barfussweg
Ein schöner Frühlingstag und Ehemann Ernst mit Sohn Christian sind am Umgestalten des Gemüsegartens. Schon lange wünschte ich mir, den Gemüsegarten zu verändern. Ein Hochbeet für Gemüse und Salat würde mir genügen. Den übrigen Platz im Garten möchte ich in einen Barfussweg verwandeln, um etwas für meine schlecht durchbluteten Füsse und Beine zu tun. Aber solche Träume brauchen Zeit, um in Erfüllung zu gehen. Letztes Jahr wollte ich schon in die Umsetzungsphase meines Projekts starten, aber der Widerstand von Ernst war gross. So brauchte es von meiner Seite Geduld. Im Herbst, als es Zeit wurde die letzten Arbeiten im Garten vor dem «Winterschlaf» zu erledigen, erwähnte ich so beiläufig, wie schön so ein Hochbeet doch sein könnte. Kein Kommentar von Ernst, oder hatte er das Hörgerät nicht eingeschaltet? So ging die Gartenarbeit weiter wie immer. Bei einem Spaziergang kurz vor Weihnachten fragte mich Ernst, ob ich den Wunsch nach einem Hochbeet und einem Barfussweg immer noch hätte. Ich blieb stehen und sagte ganz entschlossen: «Sicher!»
Ich war perplex über diese Frage. Gut, endlich wurde der Traum Wirklichkeit. Gemeinsam planten wir und allmählich bekam das Projekt ein Gesicht. Die Grosskinder wollten wissen, welches Material in den Barfussweg komme. Ich sagte: Tannenzapfen, Kieselsteine, Sand, Holzschnitzel, Moos und Birkenholz. Sophie fragte: «Auch Glas?» «Nein, das würde ja die Füsse aufschneiden.» Als wir verschiedene farbige Kieselsteine besorgten, wurde die Frage nach dem Glas wieder gestellt. Und siehe da, es gab farbiges Recyclingglas gemüllert, welches überhaupt nicht gefährlich zum Begehen war. Jetzt war der Barfussweg erstellt und mit all den verschiedenen Materialien gefüllt, sogar mit Glas. Das war eine schöne Überraschung für Sophie. Das Hochbeet wurde bepflanzt und neben Salat, Gemüse und Erdbeeren blühten die orange leuchtenden Kapuziner. Die ganze Familie beteiligte sich an der Erfüllung meines Traumes.
So gehe ich seit Mai 2015 jeden Morgen nach dem Aufstehen in den Garten und mutig vorwärts auf dem Barfussweg, oder eben ins Fitness-Studio «Elisabeth». Vogelgezwitscher, frische Luft, Stille und barfuss gehen im Sommerregen, im Morgentau, im Schnee … das fühlt sich alles gut an. Nach dem erfrischenden Rundgang auf Gras, Steinen, Moos, Tannenzapfen und Holzschnitzeln folgen die Übungen im Brunnentrog. Im Winter haben wir auf der Terrasse einen mit Wasser gefüllten Holzbottich. Dieses Gartenritual schliesse ich mit Turnübungen ab. Ich möchte manchmal einen Hochsprung oder sogar einen Handstand machen vor Freude. Das geht nun nicht mehr, dafür darf ich in die Hängematte liegen und die Seele baumeln lassen. Anfänglich wurde ich von Ernst belächelt, aber im November, beim ersten Schneefall machte er sich auch auf den Weg. Seither gehörten dieser Barfuss-Spaziergang und das Wassertreten bei jedem Wetter zu unserem Tagesablauf. Es kommt oft vor, dass ich auf dem Rückweg schon Unkraut ausziehe, verblühte Blumen zurückschneide, einen Blumenstrauss binde, eine Rose bestaune oder einen Salatkopf schneide. Aus dem Hochbeet gibt es immer etwas Feines zum Kochen, frischer geht’s nicht! Der «Barfusseinstieg plus» in den neuen Tag ist wunderbar. Elisabeths Barfussweg und das Hochbeet sind rundum ein Erfolg. Wie schön, dass wir mutig ein gemeinsames Projekt verwirklicht haben, das uns an Leib und Seele guttut!