Vom Eiertütsche und Eierdurchlüchte

Aus: Ruth Keller-Mosimann, Öpper wärde

Eiertütschen auf dem Estrich von Hulligers war immer ein Highlight an Ostern. Es war üblich, dass jedes Kind, seinem Alter entsprechend, Eier in seinem Nest vorfand. Im draussen versteckten Nest hatte es immer mit Zwiebelschalen gefärbte und mit Osterkraut verzierte Eier.

Früher hatten die meisten Häuser einen grossen Estrich mit nur wenig Lichteinfall. Hulligers hatten einen besonders grossen Estrich, und dort trafen wir uns mehrere Jahre immer vor oder nach dem sonntäglichen Oster-Mittagessen.

In meiner Kindheit war es üblich, dass alle Familienmitglieder gemeinsam zu Mittag assen, und zwar kurz, nachdem die Väter von der Arbeit nach Hause kamen. Es war die Pflicht der Hausfrau, pünktlich das Mittagessen bereitzuhalten. Ich mag mich gut erinnern, dass ab und zu eine Schulkollegin oder ein Schulkollege erzählte, dass sie oder er zu spät zum Mittagessen nach Hause gekommen sei und dann nichts mehr erhalten habe.

Bei uns gab es Sommer und Winter, werktags wie sonntags, eine Suppe vor dem Hauptgang. Meine Mutter war eine sehr gute Köchin und nie mussten wir so «komische Sachen» essen wie die anderen. Vater bekam jedoch seine «Gnagis und Söischnürrli», Schwartenmagen, Blut- und Leberwürste und sonstige in meinen Augen «gruusige Sachen». Mit der Zeit lernte ich zu schweigen und nicht mehr alle meine Wahrnehmungen auszusprechen.

Auf dem Weg in die Worber Badi mussten wir immer bei einem Schlachthof vorbeigehen. Oh, war das «gruusig», vor allem die Metzger mit den blutigen Schürzen und mit all dem Blut, das ins Senkloch floss. Eines Tages ging ich mit Mutter an einem solchen Schlachttag dort vorbei und sagte mit zusammengehaltener Nase zu ihr: «Ou, das stinkt hier!» Plötzlich stand der Schlachter mit seiner blutigen Schürze vor mir und schrie mich an: «Wenn hier etwas stinkt, dann bist du das!» Natürlich wurde diese Begebenheit wieder von den Grossen «ausgeschlachtet», und ich war wieder die «Vorwitzige» und die, die meint, was sie sei.

Dabei wusste ich zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht, wer ich eigentlich war – ich war ja immer noch auf dem Weg, «öpper» zu werden.

Zurück zu unserer «Ostereiertütschete». Punkt 14.00 Uhr versammelten sich alle Kinder vom «Schtuä» (Schlossstalden) mit ihren Ostereiern im vorgenannten Estrich. Die Spannung war immer riesig. Wer wird wohl gewinnen, wer wird mit dem stärksten Ei antreten? Kleine Eier waren oft stärker als die vermeintlich grossen Eier. Oh, manchmal wurde auch geschummelt. Einige zielten seitlich auf das Ei des Gegners, das war aber sehr verpönt. Einmal brachte ein Kind die Holztrumpfkugel* seiner Schwester mit.

Jedes Mädchen hatte zu dieser Zeit eine Strumpfkugel in seinem Nähkästchen. Die gehörte zum Schulinventar. Offenbar war das Lernen der verschiedenen Flickarbeiten wichtiger als anderer Schulstoff. Meine Herausforderung war, die schwierigsten Flickarbeiten auszuführen, ohne diese als solche zu erkennen. Mir war schon damals klar, dass ich meine Zeit nicht mit «solchem Züg» verschwenden wollte, musste ich doch «öpper» werden. Dass mir später zwischen den Zeilen empfohlen wurde, Handarbeitslehrerin zu werden, empfand ich als «Beleidigung». Meine Handarbeitslehrerinnen waren immer sehr alt, bieder und erst noch ledig.

Sieger oder Siegerin – natürlich gab es immer einen Sieger – war der oder die mit den meisten gewonnenen Eiern. Folge dieses Nachmittags war, dass es uns allen vom vielen Eieressen und von all der Schokolade abends ziemlich übel wurde.

Einmal bekam ich einen wunderschönen Osterhasen mit einer Hutte voller «Zuckereili» geschenkt. Diesen Hasen wollte ich nie essen, schwor ich mir. Nein, auch auf Drängen meines Bruders gab es keine Schokolade. Eines schönen Tages kam ich in mein Zimmer und oh weh, der grosse, stolze Hase war zu einem Häufchen Schokolade geschmolzen. Nach dem Kommentar meines Bruders geschah es mir echt, war ich doch immer die Sparsame und Geizige.

In der Kochschule lernten wir nicht nur Suppe kochen, sondern auch Eier haltbar machen. Vor der Erfindung des Kühlschranks war das Haltbarmachen von Eiern eine echte Herausforderung. Da die Hühner im Winter weniger oder gar keine Eier legten, mussten diese für den Winter konserviert werden. Zwei Mädchen mussten sich dann in den dunklen, kühlen Keller des Schulhauses begeben. Dort stand ein grosses Steingutfass, gefüllt mit irgendeinem Kalkwasser. Wir mussten die Eier säubern und vor eine Kerze drehen, eben durchleuchten, um zu sehen, ob da nicht etwa schon ein Bibeli am Entstehen war und dann in den Sud einlegen. Oh, wie lachten wir uns kaputt ab diesem Getue. Unserer Meinung nach machte dies kein Mensch mehr, aber unsere uralte Kochlehrerin hatte des Öfteren so komische Ideen. Wir waren froh, als sie endlich in Pension ging und einer jüngeren Lehrerin Platz machte. Ab dann gab es auch frisches Brot zur Suppe. Vorher mussten wir das alte Brot immer baden (nass machen), dann aufbacken und dies manchmal x-mal. Wir hatten unsere Taschen der Küchenschürze mit Plastik ausgefüttert, damit wir die manchmal «gruusigen», mehrmals gewärmten Essensreste darin verschwinden lassen konnten. Meistens hatte die Montagsgruppe Glück, durfte frische Sachen kochen und essen. Wir hatten dann Ende Woche die Herausforderung, aus den Resten Neues entstehen zu lassen.

Die «alte Haushaltlehrerin» war stolz auf ihr haushälterisches Getue. Wir tuschelten hinter ihrem Rücken, dass sie das übriggebliebene Geld bestimmt in ihre Haushaltkasse legen würde.

Mit einem hatte sie recht: «Wer Peterlig isst, wird alt!», sagte sie immer. Sie sprang mit neunzig noch kopfvoran vom Ein-Meter-Sprungbrett (in einem gestrickten Bikini!) und starb kurz vor ihrem hundertsten Geburtstag.

 *Strumpfkugeln wurden zum Sockenflicken benutzt.

 
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