Schneeflocke, Strandbad, Mondlandung

Aus: Ida Zängerle, Das Gesicht gegen den Himmel


Aus dem Klappentext

Es ist morgen. Draussen auf dem Trottoir gehen die Kinder mit geschultertem Ranzen am Kindergarten vorbei. Eines marschiert mit dem Gesicht gegen den Himmel und sieht nicht, wo es läuft. Der eben einsetzende Regen tropft auf sein Gesicht und in seinen geöffneten Mund und auf die rausgestreckte Zunge. Ein Muster aus kleinen konzentrischen Kreisen auf der Wasserfläche des Flachdachs. Die Kindergärtnerin hinter der Fensterscheibe winkt einem Kind zu, das Richtung Schulhaus schlendert. Schlagartig erinnere ich mich, dass ich als Kind mit der Zunge versuchte, Schneeflocken einzufangen, die besonders grossen und trägen, wenn Nassschnee fiel. Es ist Mitte März und für einen kurzen Moment fallen grosse weisse Flocken.


Am Weg zum Lido

Unzählige Male gingen wir an heissen Sommertagen zum Strandbad. Das musste verdient sein, denn nur schon der Weg dorthin zog sich für uns Kinder in die Länge. Immerhin wären diese laut Google Maps 1,7 Kilometer zu Fuss in einundzwanzig Minuten machbar, aber nicht für Kinder, die ab und zu stehen bleiben und da und dort Schaufenster und andere Dinge, die den Blick in Bann ziehen, betrachten müssen. Die steile Rubi hinunter bis zur Bäckerei Schriber ging es zügig. Dann dem Quai entlang, wo Kieselsteine meine kleineren Brüder lockten, ins Wasser geworfen zu werden, am Musikpavillon vorbei Richtung Schiffsstation. Dort hätte das Lidobähnli gewartet, doch wir hatten kein Geld, um damit bis zum Lido zu fahren. Und weiter gehts an der alten, düsteren, furchteinflössenden Post vorbei zum Souvenirgeschäft Caprice. Dort standen auf dem Trottoir Rollständer mit Sonnenbrillen, Sonnenhüten, Postkarten, Schals und Schirmen. Die Besitzerin Frau Zanetti hatte hochtoupierte, schwarz gefärbte Haare, mit rotem Stift nachgezogene Lippen und ein hageres Gesicht. Sie wohnte im Stock über dem Laden, war aber immer unten anzutreffen und grüsste uns Kinder freundlich.

An der reformierten Kirche und am Hotel Central vorbei wieder eine lange Strecke dem Seeufer entlang. Um die markante Kurve herum war das Haus des Uhrmachers Lottenbach. Dort, mitten im Garten, war ein kleiner Weiher mit einem Dampfschiff in Miniatur, das einen winzigen Springbrunnen auf einem Felsen umkreiste. Hier waren meine Brüder nicht mehr fortzubekommen, denn sie wollten nochmals und nochmals zusehen, wie das Dampfschiffchen majestätisch vorbeigleitete. Die Schaufelräder drehten sich und die winzige Fahne flatterte. Wenn das Unterdorf endlich hinter uns lag, noch ein langes gerades Stück auf heissem Asphalt vor uns, der eigenartig roch, wenn ein Sommergewitter ihn abkühlte.

Nach dem Hotel Park um die letzte Kurve herum und der Lido war erreicht. Er wurde im Sommer 1919 als erstes modernes Strandbad der Schweiz eröffnet.


Die Mondlandung

Kleiner Schritt, grosser Sprung! Am 21. Juli steigt Neil Armstrong die Leiter hinab und setzt seinen Fuss auf den pudrigen Boden. Rund sechshundert Millionen Menschen verfolgten gebannt die Fernsehübertragung der Mondlandung. Nur wir nicht, denn wir hatten keinen Fernseher. Neil Armstrong setzte seinen Fuss zur besten US-Sendezeit auf den Mond. In Amerika war es der Abend des 20. Juli 1969, in Europa allerdings war bereits der 21. Juli angebrochen. Um drei Uhr sechsundfünfzig sprach Armstrong seine berühmten Worte und ich war dreizehn Jahre alt.

Ich lag mit aufgestützten Armen auf dem Bauch im Bett und las und Mutti bügelte auf dem Bügelbrett im gleichen Zimmer. Wir wollten das berühmte Ereignis abwarten und mussten die Zeit herumbringen. Mein Rücken schmerzte vom Sonnenbrand, den ich mir im Strandbad eingefangen hatte. Ich habe noch diesen heissen feuchten Duft vom Dampfbügeleisen in der Nase. Ich verstand Armstrongs Worte nicht, einerseits das Amerikanisch und andererseits die Tonqualität am Radio. Aber immerhin war ich wach und mit der ganzen Menschheit mit dabei, als der erste Mensch 1969 den Mond betrat.

In diesen Februartagen vorgestern Abend gegen zehn Uhr ist die Marsmission mit der Landung vom Perseverance Rover punkt- und zeitgenau geglückt, die wir voll Spannung auf NASA-TV verfolgten.

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