Ehezeit

 Aus: Dorothea Walther, Keine Ballerina

 Ich mag keine Vorworte.
Also Worte vor den Worten.
Warum auch?
Weil ich der Meinung bin, meine Worte sollten genügen.
Ich hoffe, dass mir das gelingt!

Mein Buch benötigt eine kurze Erklärung. Ich habe meinen Lebensweg in sieben Kapitel, zu je zehn Jahren, eingebettet und mit einem Schlusskapitel versehen. Jedes Kapitel ist von Ereignissen geprägt, die mir, in meiner Erinnerung, als wichtig erscheinen. Meine Texte haben den einzigen Zweck, mit offenem Sinn und offenem Herzen, meinen Lebensweg zu durchleuchten.

Ehezeit

Meine Ehe – Ich heiratete jung, sehr jung sogar, viel zu jung. Klar begann alles im schönsten Licht, so wie es auch sein soll. Schnell zeichneten sich die ersten Stolpersteine ab, sie drangen leise, schleichend, unaufhaltsam, wie ein Geschwür, wie dunkle Wolken in unsere junge Ehe. Später, nach elf Jahren, als dann gar kein Licht mehr da war, wusste ich, dass ich gehen musste.

Ich wusste wenig über Sexualität. Das war kein Gesprächsstoff damals. Zur Mutter konnte ich nicht, zur Schwiegermutter erst recht nicht. Sie hatte mir sogar abgeraten, ihren Sohn zu heiraten, mir aber nicht gesagt, warum. Ich erinnere mich noch gut, wie irritiert ich war.

Was gilt als normal, was muss eine Frau für ihren Mann müssen, was darf ein Mann von seiner Frau fordern? Kurz und gut, ich konnte schlecht mit den Forderungen von W an mich umgehen, fühlte mich gebraucht, benutzt, überfordert, gedemütigt. Dieser Prozess dauerte über Jahre, immer mit meiner Hoffnung, damit zurechtzukommen. Ich liebte W, wollte mit ihm eine Familie gründen. Die Entwicklung ging leider in die falsche Richtung. W erlaubte sich immer mehr, ging immer weiter in seinen ungesunden egoistischen Forderungen. Irgendwann war der Punkt erreicht, und ich musste STOPP sagen, um seelisch nicht zugrunde zu gehen.

All das war um so tragischer, da W ein guter Vater war, wir Freude hatten an unserer gewachsenen Familie, stolz waren auf unsere drei tollen „Giele“. Wir waren eigentlich ein gutes Team und galten als glückliches Paar in unserem Umfeld. Umso mehr waren die Menschen rund um uns erstaunt, als wir uns trennten respektive als ich auszog. W war nicht bereit, unsere gemeinsame Wohnung zu verlassen, so musste ich handeln. Ich war gegen aussen die Schuldige, W wurde bedauert. Von allen Seiten wurde er zum Essen eingeladen, ich wurde gemieden, nicht mehr gegrüsst, es war hart.

Wem hätte ich die Wahrheit erzählen sollen? Wer hätte mir geglaubt? Selbst meine Eltern wussten nicht um die Situation. Mein Vater sagte bloss trocken: „Eine Frau verlässt ihren Mann nie.“ Wenn er die Wahrheit gewusst hätte, ich weiss nicht, was passiert wäre.

Ich habe mir damals professionelle Hilfe geholt. Ich wollte verstehen, ich wollte retten, ich wollte nicht zerbrechen am Geschehenen. Als mir in den Gesprächen klar wurde, dass mein Anteil an der Katastrophe nur fünfzig und nicht hundert Prozent war, wurde die Last auf meinem Schultern schon etwas leichter. Ich konnte damit W gegenüber klarer auftreten, W konnte mich nicht mehr einfach klein und schuldig reden. Die Scheidung wurde unumgänglich.

Während der ersten Jahre unserer Ehe war W in Ausbildung zum Sozialarbeiter. Es war eine berufsbegleitende Ausbildung, was einiges an Verzicht und Engagement erforderte. Ws erste Stelle führte uns nach Solothurn. Von dort fuhren wir für ein halbes Jahrs nach Israel, für einen Kibbuz-Einsatz, um später nach Bern zu ziehen, wo ich bis heute lebe.

Mein Puppenspiel – Während dieser Jahre habe ich mich intensiv mit Puppenspielen befasst. Ich nahm Kurse bei verschiedenen Puppenspielerinnen, um das Kunsthandwerk zu erlernen. In meinem eigenen Atelier bot ich später Kurse für Kinder an. Wir spielten mit Gemüse, woraus am Schluss eine Suppe entstand, mit Holzkellen, mit Flaschenputzern, mit einfach herzustellenden Figuren. Immer war ich fasziniert, wie eher schüchterne Kinder sich hinter dem Vorhang veränderten, wie ihre Gesichter zu leuchten begannen. In den vielen Kinderlagern, die W beruflich organisierte, konnte ich meinen Beitrag als Puppenspielerin leisten. Eine Puppenspiel-Gruppe konnte ich als singende kleine Hexe im Theater musikalisch begleiten. Bis heute ist mir die Faszination für das Puppenspiel, in welcher Form auch immer, geblieben. Wann immer ich kann, versuche ich solche Theateraufführungen zu besuchen.

Mein Kinderwunsch – Mein Kinderwunsch war gross. Während der elf Jahre meiner Ehe war ich deswegen einmal pro Jahr im Spital. Eine Frühgeburt, drei Fehlgeburten, mehrere Unterleibsoperationen forderte mein Kinderwunsch. Dieser Körpereinsatz, dieser Kräfteverlust, dieses Hoffen, dieses Leiden sind im Nachhinein nicht ganz nachvollziehbar. Doch ich bin zufrieden und dankbar, dass ich durchgehalten habe, der Einsatz hat sich mehr als gelohnt. Mit drei Buben erfüllte sich mein Kinderwunsch!

Als ich mit dem dritten Kind schwanger war, traf ich mich mit meiner Mutter und den beiden Kindern in einem Café in meiner Heimatstadt Luzern. Ich teilte ihr mit, dass ich schwanger sei. Wenn ich dachte, sie würde sich mit mir freuen, hatte ich mich gründlich geirrt. Ihre Reaktion: „Was machst du nun?” Ich muss sie recht verdattert angeschaut haben: „Was meinst du damit?” Da erzählte sie mir vor den Kindern am Cafétisch, dass sie mich habe abtreiben wollen. Mit der Stricknadel, mit Safran und irgendwelchen starken, abführenden Tinkturen.

Ich sass wie erstarrt da, unfähig etwas zu tun, etwas zu sagen. Noch heute bedaure ich, dass es mir nicht gelungen ist, aufzustehen, meine Kinder unter die Arme zu klemmen, um fluchtartig das Lokal zu verlassen.

Meine Ehe endete in einer Katastrophe, alle Träume, alle Hoffnungen, alle Illusionen zerplatzten wie Seifenblasen. Meine eigene Familie mit meinen drei Buben blieb bestehen, hat sich gut entwickelt. Zusammen haben wir einen Weg gefunden, auch ohne Papa und ohne Partner, auch wenn das sehr schmerzlich war. Wir durchlebten Krisen, Auseinandersetzungen, stürmische Zeiten – wie alle Familien. Ich war oft überfordert, sicher auch mal ungerecht und zu heftig, doch klar und ehrlich. Etwas, was meine Buben allerdings immer wussten: Man kann sich auf Mama verlassen.

Ich habe meinen Kindern viel erlaubt, sie sollten sich ausprobieren. Wir konnten zusammen auch heftig blödelen, kreischen, schreien, gorpsen, furzen, kichern, lachen, raufen, unschön reden, schmutzig sein, mit Teigwaren-Röhrli Sirup trinken, nackt baden und vieles mehr. Ich habe dieses Ungeziemte, Unerlaubte ebenso genossen wie meine Buben.

 
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Grossvater oder Gropa

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Ein Buch schreiben – Lust und Herausforderung