Ein Buch schreiben – Lust und Herausforderung
Erfahrungsbericht von Helen Jäger
Vor einigen Jahren hatte ich Fotos aus dem Familienarchiv zusammengestellt, schön ausgedruckt und in einem Ordner abgelegt. Ich hatte im Sinn, zu jedem Bild einen Kommentar von einer halben A4-Seite zu schreiben. Vielleicht würden das meine Memoiren in Wort und Bild werden.
Mit dem ersten Lockdown der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 war nun die Zeit gekommen, mich dieser Arbeit zu widmen. Alle meine Aktivitäten ausser Haus waren gestrichen und plötzlich verbrachte ich sehr viel Zeit allein zu Hause. Anfangs schaute ich mir die Fotosammlung an und schrieb zu jedem Bild einen passenden Text. Mit der Zeit waren die Fotos als Gedankenstütze nicht mehr nötig. Ich vertiefte mich in die Erinnerungen an meine Kindheit, die Jugend- und die Erwachsenenjahre bis in die Gegenwart. Dabei zogen mich vor allem meine frühen Lebensjahre in ihren Bann.
Schon damals – und bis heute – üben die Jahreszeiten eine grosse Faszination auf mich aus. Ich mag alle vier Jahreszeiten, jede für ihre Eigenheiten und die Veränderungen, die sie zur vorherigen bringt. So verfasste ich längere Texte über die Jahreszeiten. Wenn ich sie vorerst auch nicht in die Memoiren zu integrieren wusste, so liess ich sie doch als eigenständigen Teil stehen.
Schon nach wenigen Tagen packte mich eine grosse Lust am Schreiben. Täglich sass ich zwei, drei oder gar vier Stunden am Computer und griff pausenlos in die Tasten, bis mich jeweils Rücken und Nacken so schmerzten, dass ich kaum mehr vom Stuhl aufstehen konnte. Die Welt um mich herum, die sich fast ausschliesslich mit der Corona-Pandemie befasste, konnte ich mit dem Schreiben komplett ausblenden.
Das Ziel meines Schreibens lag nicht in einem weit entfernten Resultat, das es anzustreben galt, etwa in einem zusammengehefteten Bund von ausgedruckten A4-Blättern für mich, meine Kinder und Grosskinder. Das Ziel war das Schreiben selbst, der Prozess meine Erinnerungen in Worte zu fassen.
Schreibprojekt bei Edition Unik
Ich hatte gerade meine Memoiren zu Ende geschrieben, als ich von einem Bekannten von den Schreibprojekten der Edition Unik hörte. Ich schaute mir die Homepage an, indem ich durch alle Menus klickte. Das Angebot gefiel mir, es schien mir professionell und sympathisch, besonders die Unterstützung und persönliche Hilfestellung beim Schreiben. Da war nur eine Sache, die mir nicht behagte und die ich anfangs weit von mir wies. Der erste Satz auf der Homepage lautet nämlich: «Schreib dein Buch».
Ich überlegte eine Weile. Ich wollte ja gerade kein Buch schreiben, denn es schien mir etwas Definitives darzustellen. Dann entschied ich mich, den Schreibprozess einfach zu stoppen, sobald es um die Gestaltung des Buches ginge, und meldete ich mich für die Herbstrunde 2020 in Zürich an. Sie begann mit der Auftaktveranstaltung am 18. August. Drei Wochen später, an der ersten Netzwerkveranstaltung, wurde mir klar, dass zum Schreiben das gedruckte Buch notwendigerweise dazugehörte. Es ging kein Weg am Buch vorbei. Was sollte ich mich also noch dagegen sträuben?
Etappe 1
Ab der ersten Projektwoche stürzte ich mich voller Elan in die Etappe 1, «Erinnerungen Sammeln» auf der eigens von der Edition Unik angelegten App. Da ich meine Erinnerungen bereits in chronologischer Form als Memoiren geschrieben hatte, war schon viel Arbeit dieser ersten Etappe getan. Alte Filmszenen, in denen der Autor von Schreibblockaden geplagt wird, ein Blatt nach dem andern aus der Schreibmaschine zerrt und es zusammengeknüllt in eine Ecke des Zimmers schmeisst, um sich anschliessend einigen Gläsern Wein hinzugeben, sind allseits bekannt. Solche Phasen blieben mir glücklicherweise erspart. Allerdings hatte ich keine Lust beim alten, chronologischen Aufbau der Memoiren zu bleiben. Ich nahm mir eine neue Struktur vor, welche war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. Ich begann damit, alle Seiten der Memoiren auszudrucken und sie mit Tesaband an die Wand zu kleben. Dann schnitt ich sie in Stücke von einzelnen Begebenheiten und Phasen meines Lebens und legte die Textstücke in einen Schuhkarton. In der App legte ich sie als Notizen im dafür bereitgestellten Ordner ab.
Etappe 2
Ich war mit dieser Arbeit längst fertig und hatte sogar Zeit gehabt, meine Texte zu überarbeiten, als die Etappe 2 «Geschichten Sortieren» aufgeschaltet wurde. Nun ging es darum, Kapitel zu gestalten. Meine Texte über die Jahreszeiten kamen mir dabei zu Hilfe. Mit der Bedeutung, die für mich den Jahreszeiten zukommt, bot sich eine Erzählweise an, die diesen die einzelnen Abschnitte meiner ersten zwanzig Lebensjahre episodenhaft zuordnete, also keinen rein chronologischen Ablauf verfolgte. So gelang es schliesslich – natürlich nicht auf Anhieb, aber doch nach mehrmaligem Umherschieben meiner Notizen – jeweils zwei Themen in jeder Jahreszeit unterzubringen.
Der Frühling ist für mich die Zeit des Neubeginns und des Aufbruchs. Auf mein Leben übertragen, zählte ich Geburt, Familie und die einzelnen Schulabschnitte dazu.
Der Sommer steht für die volle Blüte der Natur. Er war die Zeit all der unbeschwerten Erlebnisse im Freien mit Freundinnen aus der Nachbarschaft und mit meiner Familie in unserem Garten, im Zürichsee und in den Schweizer Bergen.
Der Herbst steht für das Einsammeln der Ernte, um sich anschliessend auf die Winterruhe vorzubereiten. Für mich bedeutete das, in die Welt der Pfadfinderinnen und meiner Paten hinauszugehen und in die Behaglichkeit des Elternhauses zurückzukehren.
Dem Winter ordnete ich die recht lauten und wilden Aktivitäten draussen in Schnee und Eis und anschliessend die Einkehr ins Haus mit der Advents- und Weihnachtszeit zu.
Damit hatte sich nun auch mein Fokus geändert: Erzählweise und Stil wurden genauso wichtig wie der Inhalt. Gute Formulierungen waren eine grosse Herausforderung. Immer wieder erinnerte ich mich an meine Deutschlehrerin, die sich über meinen schlechten Schreibstil aufgeregt hatte. Wie oft ging ich nun im Kampf um den passenden Ausdruck Hände ringend im Arbeitszimmer auf und ab. Manchmal half nicht einmal der gute alte Duden. Zum Glück gab es das Angebot der Edition Unik, eine Mentorin oder einen Mentor zu Hilfe zu nehmen. Ich entschied mich für eine Mentorin, die sich mit viel professionellem und einfühlsamem Engagement meiner Texte annahm. Ich danke ihr an dieser Stelle nochmals ganz herzlich. Ihre Unterstützung hat wesentlich zum Gelingen meines Buches beigetragen. Auf Grund ihrer kritischen Lektüre, sowie jener einer Freundin, verzichtete ich auf die Inanspruchnahme eines Lektors. Nun stand eindeutig fest: Das fertige Buch war das Ziel – ein hoch gestecktes Ziel.
Etappe 3
Ich konnte rechtzeitig in die Etappe 3 «Buch Gestalten» einsteigen. Wie staunte ich, als auf meinem Bildschirm erstmals die Druckvorlage erschien. Das hatte also tatsächlich alles ich geschrieben: 150 Seiten. Der Titel des Buches «Gelebte Jahreszeiten» gefiel mir immer noch und ich liess ihn stehen. Ich freute mich über die gute Qualität der sechs Fotos, die ich zu Beginn jedes Hauptkapitels eingefügt hatte. Was mir hingegen Mühe bereitete, waren die Zeilen-, Absatz- und Seitenumbrüche. Ich stellte fest, dass sich jede Änderung im Verlauf des ganzen Kapitels fortsetzte. Dazu kam, dass ich zwischen Ändern, das heisst Schreiben, und Druckansicht hin- und herwechseln musste. Bis die Druckansicht jeweils sichtbar wurde, musste offensichtlich immer der ganze Text neu geladen werden. Das dauerte zwar nicht lange, aber ich war ungeduldig auf die neue Fassung. Ich versuchte es auch auf dem ausgedruckten Text, aber das schien mir noch umständlicher. Glücklicherweise hatte ich immer noch einen gewissen Zeitvorsprung, sodass ich mir für das Layout hinreichend Zeit nehmen konnte.
Das Datum des Redaktionsschlusses, Mittwoch, der 2. Dezember, näherte sich. Ich hatte nicht mehr die geringsten Zweifel, das Buch drucken lassen zu wollen. Aber es abzuschliessen erforderte viel Mut. Den dafür in der App vorgesehenen roten Knopf zu drücken, bedeutete, dass das Buch zum Druck freigegeben wurde und definitiv nicht mehr geändert werden konnte. Bei jeder Lektüre meines Textes fand ich einen Fehler oder eine unpassende Formulierung. Ich musste also davon ausgehen, dass ich bei einer nochmaligen Lektüre wieder etwas finden würde, das zu korrigieren war. Ich zögerte lange. Ich erinnere mich, es war Samstag, der 29. November. Ich nahm mir vor, am nächsten Tag, dem Sonntag, den 30. November nach dem Frühstück das Buch für den Druck freizugeben. Der Sonntag kam und ich hielt mich tatsächlich an meinen Vorsatz. Ich drückte den roten Knopf, und weg war das Buch. Was für ein Gefühl? Erstmal kein besonders angenehmes. Es verstrichen ein paar Tage, bis ich endlich aufatmete und eine grosse Erleichterung empfand.
Am 10. Dezember sollte für die Gruppe der Zürcher Herbstrunde eine festliche Buchvernissage mit Ansprache, Lesung und Apéro stattfinden. Sie fiel leider den Hygienemassnahmen der Corona-Pandemie zum Opfer. Wir durften aber die zwei Exemplare unserer Bücher eigenhändig abholen. Als ich sie in Händen hielt, überkam mich nochmals grosses Staunen, Freude, ja sogar etwas wie Euphorie. Schliesslich hatte ich so etwas noch nie erlebt. Es war mein erstes Buch. Meine Tochter, die mich begleitete, machte ein paar Fotos, das Feiern hoben wir uns für die Zeit nach der Corona-Krise auf.
Die Euphorie hielt einige Tage an. Dann kam die grosse Leere. Das Buch war geschrieben. Was sollte ich mit der Zeit anfangen, die ich in den vergangenen acht Monaten täglich mit Schreiben zugebracht hatte? Die Wohnung putzen? – schlechter Ersatz! Schliesslich kaufte ich mir eine neue Fotokamera, denn die alte hatte das Zeitliche gesegnet. Ich mache täglich Fotos meiner nahen Umgebung und habe im Sinn, daraus ein Fotobuch zu erstellen.
Während der Corona-Pandemie habe ich das Schreiben entdeckt. Ich brauchte dazu niemanden ausser mir selbst und finde es ganz einfach wunderbar, wie viel Freude es mir gemacht hat. Das Eintauchen in die Vergangenheit half mir in schwierigen Phasen, mit der Sorge um eine mögliche Viruserkrankung, einen möglichen Tod, sowie mit dem Gefühl der Einsamkeit und Isolation fertigzuwerden. Das Corona-Virus hält die Welt nach wie vor im Griff. Und sollte dies tatsächlich noch länger so bleiben, weiss ich jetzt, dass ich mit Schreiben – ganz allein zu Hause – den sozialen Einschränkungen begegnen kann.
Heute ziehe ich in Erwägung, ein zweites Buch zu schreiben. Ich spüre erneut die Lust, Erinnerungen in Worte zu fassen, wiederum erstmal für mich selber. Ein Thema geistert schon in meinem Kopf umher.
Nun wünsche ich allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Projekts von Herzen viel Freude und gutes Gelingen. Halten Sie durch, bringen Sie Ihr Buch zu Ende und klopfen Sie sich anschliessend auf die Schulter!