Im Schreibzauber

Erfahrungsbericht von Stephanie Wenger

Endlich ist es so weit – der Auftakt zu meinem Buch. Seit der Anmeldung vor einigen Wochen verging kaum ein Tag, an dem ich nicht daran dachte. Ich mache mir über so vieles Gedanken.
Will ich das wirklich? Manchmal zweifelte ich daran. Bis ich merkte, dass es Ängste sind, die mir im Weg stehen. Ängste, mich in der Öffentlichkeit zu bekennen. Meine privateste Seite nach Aussen zu zeigen. Will ich denn, dass alle Zugang dazu haben? Will ich, dass meine Arbeitskolleginnen und -kollegen und meine Vorgesetzten diese Worte lesen? Wie ist es, wenn sie plötzlich so viel über mich erfahren und man zusammenarbeitet, ohne darüber zu sprechen? Fühle ich mich dann noch wohl? Was passiert, wenn ich meine Gedanken, mein Erleben zu so vielen Situationen preisgebe, die andere vielleicht ganz anders erlebt und wahrgenommen haben? Verletze ich Menschen? Verletze ich meine Familie, meine Liebsten?
Ich will niemanden mit meinen Worten verletzen. Schweigen und meine Wahrheit für mich behalten, das will ich jedoch auch nicht mehr. Ich will meine Vergangenheit, meinen Alltag, mein bisheriges Leben niederschreiben. So, wie ich es erlebt habe. So, wie ich heute lebe. Ich will mich nicht mehr verstecken oder erklären und verstellen erst recht nicht.

Mit diesem Buch möchte ich einen Abschluss finden, der mich stärkt, indem ich alles mit einem Blick von oben noch einmal durchlebe, und ich erhoffe mir dabei, daraus Kraft zu schöpfen. Ich möchte, wenn ich in Zukunft an mir zweifeln sollte, ein Blick auf das Buch werfen und denken: «Ich habe so vieles durchlebt und stehe nun mit beiden Beinen im Leben – ich kann stolz auf mich sein.»

So stehe ich nun vor dem Generationenhaus in Bern. Ein wunderschönes Gebäude. Ich gehe in Richtung Innenhof, als mir ein Bildschirm den Weg zur Auftaktveranstaltung der Edition Unik weist. Der Pfeil zeigt nach rechts. Ich gehe los, höre ein lautes Klicken und sehe, wie sich die riesige Tür automatisch öffnet. Wie erstarrt bleibe ich davor stehen, mein Herz beginnt zu klopfen. Ich fühle mich plötzlich wie in einem schlechten Film. Dieses Geräusch, diese Tür. Es ruft sofort Erinnerungen in mir wach. Es sind genau diese Erinnerungen, über welche ich schreiben will. Durch genau eine solche Tür ging ich, als ich mein Leben zum ersten Mal selbst in die Hand nehmen musste. Es war die Tür, welche zur psychiatrischen Klinik führte, in der ich für einige Monate lebte. Am Starttag meines Buchprojektes stehe ich nun gefühlt vor derselben Tür und ich weiss sofort: Das ist ein Zeichen! Mein Zeichen. Es ist die Antwort auf meine Fragen, ob ich dieses Buch – mit all seinen Konsequenzen – schreiben will.
In diesem Moment wird es mir klar: Ich will durch diese Tür gehen. Ich will dies noch einmal gedanklich durchleben. Ich will mit dieser Tür meinen Frieden schliessen. Ich will damit Mut machen. Hoffnung schenken. Teilen. Ich gehe durch die hohen Gänge des Generationenhauses in Bern und sehe durch die Fenster in den Innenhof. Warum war ich noch nie da? Das will ich in Zukunft ändern. Es fühlt sich an wie ein Ort der Verbundenheit.

Diese Verbundenheit spüre ich auch, als ich im Raum ankomme, wo die Auftaktveranstaltung stattfindet. Schon wieder fühle ich mich zurückversetzt. Zurückversetzt in die Zeit in der Klinik. Ich fühle mich unter Gleichgesinnten. Damals waren es die Leidensgenossinnen und Leidensgenossen mit psychischen Erkrankungen und schweren Krisen. Heute sind es Menschen, die ein Buch schreiben wollen. Geschichten über das Reisen, Geschichten der Familie für die Kinder, Geschichten des Aufarbeiten oder Gedichte, die in ein Buch gehören.
Die Menschen, die vor den Teilnehmenden stehen, sind nun nicht mehr Ärzte oder Therapeuten. Es ist der Geschäftsleiter der Edition Unik und die Praktikantin. Sie führen uns durch den Prozess. Dabei denke ich immer wieder, an welch wunderschönem Projekt ich teilnehmen darf. Ich fühle mich einfach gut. Sie erzählen vom Projekt, von den Etappen und davon, was alles auf uns zukommt. Begeisterung steigt in mir hoch und ich werde dabei immer wieder zu Tränen gerührt. Ich spüre, dass ich genau das Richtige tue. Der Traum des Buchschreibens geht in Erfüllung. Zu sagen oder eher zu schreiben habe ich vieles.

Bevor die Software vorgestellt wird, gibt es eine Kaffeepause mit einem gemeinsamen Austausch. Etwas, das ich gar nicht mag. Wenn ich Apéro oder gemeinsamer Austausch schon nur höre, möchte ich am liebsten davonlaufen. Das Herumstehen und die gesuchten Gespräche, besonders auf der Arbeit, finde ich schrecklich.
Es kommt anders. Ich trinke ein Glas Wasser an einem der Stehtische, die leckeren Gebäcke auf dem Tisch nebenan blende ich gekonnt aus, da ich wieder einmal auf die Linie schaue, und schon werde ich direkt angesprochen. Ich werde gefragt, worüber ich schreiben wolle.
Und ich rede. Ganz offen. Es kommen weitere Schreibende dazu. Wir alle erzählen uns von unseren Vorhaben und als wir zurück zu unseren Plätzen gerufen werden, will ich am liebsten gar nicht mehr zurück. Zu spannend ist der Austausch. Welch wunderbare und unterschiedliche Menschen ich hier antreffe!
Nachdem die Software vorgestellt worden ist, die einfach, übersichtlich und toll daherkommt, will ich nur noch nach Hause. Getrieben vom Schreibzauber.
Das Wort Schreibzauber – es kommt von einer Teilnehmerin der Schreibrunde vor mir, also der Frühjahrsrunde. Diese durfte ich bereits vor drei Jahren am Geburtstag der lieben Schwester meines Freundes kennenlernen. Ich las ihr Buch Fliegen lernen und lernte so die Edition Unik kennen. Sie hat mich inspiriert. Zum richtigen Zeitpunkt. Ich musste nicht erst überlegen, ob ich mich anmelde. Es war sofort klar! So wünschte mir diese wundervolle Autorin «Happy typing und ganz viel Schreibzauber». Das war ich sofort: verzaubert, von der ersten Zeile. an. Danke, du wundervoller Mensch.
Diesmal will ich alles anders machen. Normalerweise, wenn ich ein Projekt starte, durchdenke ich alles ganz genau. Für so vieles schreibe ich Abläufe oder erstelle Checklisten. Diesmal nicht. Ich beginne mit dem Schreiben der Notizen. So, wie von der Edition Unik angedacht.
In meinem Kopf steht weder ein Anfang noch ein Ende geschrieben. Ich schreibe, was ich eben in diesem Moment schreiben mag. Ganz ungezwungen. Alles soll niedergeschrieben werden, was zum jeweiligen Zeitpunkt für mich passt und stimmig ist. Erst einmal sieben Wochen lang jeden Tag mindestens 45 Minuten. Das ist eine Empfehlung. Dieser gehe ich nach, so gut es denn geht.

Auch da mache ich mir keinen Stress. 17 Wochen lang werde ich es fliessen lassen und vertraue darauf, dass alles gut wird. Ab der Woche neun werden die Notizen sortiert und zu Kapiteln zusammengelegt. Diese werde ich ergänzen und erweitern. So lange, bis es für mich stimmig ist. Am Schluss erfolgt die Buchgestaltung.
Ich werde mir Auszeiten gönnen. Auszeiten an den Wochenenden zu Hause, Auszeiten in Airbnbs, in der Natur, in den schönen Berner Cafés, einfach überall dort, wo ich im Schreibzauber aufgehen kann. Zur Schlussetappe habe ich mir Ferien genommen und werde eine Woche lang allein im Jura in einem wunderschönen Haus verweilen. Ich kann es kaum erwarten, dort mein Buch fertigzustellen. So, wie ich es kaum erwarten kann, mein Buch in wenigen Monaten in den Händen zu halten.

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Vorwort und die Jahre im fremden Land [Ausschnitt]

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Bücherwelt [Ausschnitt]